Kramp, Ralf (Hrsg)
verlassen hatte. Vorsichtig stach er den Spaten in die Erde. Die Leiche lag nicht sehr tief, er musste aufpassen. Als er auf einen Widerstand stieß, musste er unweigerlich würgen. Er presste die Fingerknöchel auf den Mund und versuchte, die aufsteigende Übelkeit wegzuatmen. Verdammt, er hätte an Handschuhe denken sollen! Er legte einen Graben um die Leiche frei, dann nahm er die bloßen Hände. Als ihm die ersten Maden entgegenkrabbelten und ihm ein süßlicher Gestank in die Nase stieg, konnte er es nicht mehr verhindern und entledigte sich seines Mageninhaltes. Er musste sich zusammenreißen! Wieder griff er zum Spaten. Diesmal ging er gröber zur Sache, nahm keine Rücksicht mehr auf das, was das Gartengerät vor ihm freilegte. Er versuchte, nicht daran zu denken, dass das da vor ihm einmal ein Mensch gewesen war. Irgendwo schrie eine Eule oder ein Kauz. Er fand nicht, was er suchte. Ganz in der Nähe knackte ein Ast. Er wütete jetzt regelrecht. Stieß wieder und wieder mit dem Spaten zu. Durchpflügte die aufgehäufte Erde mit den Fingern. An einem Stein riss er sich den Handballen auf. Es blutete stark. Verzweifelt sank er auf die Knie. Mit der unverletzten Hand tastete er in den Taschen nach einem Taschentuch, um die Blutung zu stillen. In einer der vorderen Brusttaschen stieß er auf einen kleinen, harten Gegenstand. Er stutzte. Fühlte noch einmal genauer. Als ihm klar wurde, was er da in den Händen hielt, begann er zu schluchzen.
Dann lachte er hysterisch.
Heulte.
Er konnte einfach nicht aufhören.
Dann richtete sich das Licht mehrerer Taschenlampen auf ihn.
Pröllhuber dreht durch
T HORSTEN W IRTZ
»N-
Methylamphetamin, auch Methamphetamin oder Metamfetamin genannt (umgangssprachlich Crystal Meth, abgekürzt Meth oder Crystal), ist ein hochwirksames, (halb)synthetisches Stimulans auf Amphetaminbasis; halbsynthetisch dann, wenn es durch Sauerstoffabspaltung aus Ephedrin synthetisiert wird.« (Wikipedia)
Es war ihm gleich aufgefallen, als er in Jünkerath aus dem zug gestiegen war: Vorzeitig gealterte Gesichter, leere Blicke und ruinöse Gebisse, alles untrügliche zeichen für den Konsum dieser neuen Teufelsdroge. In Niederbayern, wo der Pröllhuber zu Hause war, kam das zeug in Massen aus dem Osten über die Grenze. In der Tschechei lagen die Labore, in denen gewissenlose Kriminelle die Droge aus ein paar frei verkäuflichen Chemikalien zusammenkochten. Chrystal Meth war in den vergangenen Monaten zu einem immer größeren Problem geworden. Auf seiner Dienststelle in Dingolfing machten Drogendelikte mittlerweile einen Großteil seiner täglichen Arbeit aus. Deshalb hatte er einen sicheren Blick für die Crackheads, die offenbar auch hier in der Eifel zum Straßenbild dazugehörten. Schlimm.
Hier war es wohl die Nähe zur belgischen und wahrscheinlich noch eher die zur holländischen Grenze, die verantwortlich war für die Verelendung der Eifelbevölkerung durch die neue Droge. Auf dem Weg vom Bahnsteig bis zum Taxistand machte er noch zwei weitere junge Leute aus, die vom Konsum der Droge gezeichnet waren: Obwohl sie nicht viel älter als 20 oder 25 Jahre sein mochten, hatten sie doch schon den müden, schleppenden Gang eines Mittvierzigers.
Dabei hatte er sich doch so auf das lange Wochenende hier im westlichsten Zipfel Preußens gefreut – sofern man sich denn freuen konnte, das geliebte Land der Bayern verlassen zu müssen. Doch beim Silvesterball der Polizeiinspektion Dingolfing hatte der Kommissar den verlängerten Wochenendaufenthalt im »Vulkanhotel« bei der Tombola gewonnen. Und nach diesem stressigen Jahr und dem Ärger mit den ganzen Drogenbürscherln hatte sich der Pröllhuber diese Abwechslung wahrlich verdient. Er hatte die Lose zwar eigentlich nur gekauft, um das 192-teilige Werkzeugset im Metallkoffer zu gewinnen, das er ganz gut hätte gebrauchen können. Aber das hatte der Filsmayer Anton abgestaubt, und alle Versuche, die Gewinne zu tauschen, waren fehlgeschlagen. »Was soll denn nachher ich in der Eifel?«, hatte der Filsmayer gefragt. Gute Frage. Da war dem Pröllhuber auch keine Antwort eingefallen.
Schon die Zugfahrt hier in den hohen Norden war abenteuerlich gewesen: Erst mit dem Regionalexpress von Dingolfing nach München, dann mit dem ICE bis Köln, dort erneut umsteigen und weiter bis nach Jünkerath. Sieben Stunden zweiundvierzig Minuten. Mit dem Taxi hatte er dann schließlich nach einer weiteren halben Stunde sein Ziel erreicht: Steffeln. Der Taxifahrer war
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