Kramp, Ralf (Hrsg)
Wichtig war nur, dass er die Rutschmühle bekam. Wenn er beide Mühlen im Besitz hatte, war er der einzige Müller am Wallmerbach. Er konnte das Wasser allein regulieren. Und die Ölpresse in der Rutschmühle konnte er auch gut gebrauchen.
Das war vorerst auch der einzige Nutzen, den der Regmüller von seiner Neuerwerbung hatte. Es gab kaum für eine Mühle genug Arbeit. Die Rutschmühle musste stillgelegt werden. Die wirtschaftliche Lage war schlecht, und wer geglaubt hatte, nach dem Abzug der Franzosen würde sich alles ändern, der hatte sich getäuscht. Noch schlechter war es geworden. Die Tuchindustrie war ein für alle Mal erledigt, und die Landwirtschaft aufgrund der Realteilung und der viel zu kleinen Felder nicht rentabel. Im Jahre 1816 war darüber hinaus das Wetter so schlecht, dass man mit Fug und Recht behaupten könnte, der Sommer sei ausgefallen. Es folgte der schrecklichste Hungerwinter, den die Eifel je erlebt hatte. Es dauerte Jahre, bis sich die Verhältnisse so weit normalisiert hatten, dass die Regmühle wieder mit gutem Gewinn arbeitete. Erst im Jahre 1824 konnte sich der Mattes Weber daran machen, die inzwischen halb verfallene Rutschmühle wieder zusätzlich in Betrieb zu nehmen.
Dass mit der Rutschmühle etwas nicht stimmte, hatte der Regmüller schon sehr rasch erfahren. Die Knechte, die in der Mühle gewohnt hatten, berichteten wunderliche Dinge. Offenbar hatte es einen Streit gegeben. Einen Streit? Nein, eine ganze Serie von lautstarken Auseinandersetzungen, und am Ende war schließlich der jüngere Bruder über Nacht verschwunden, ohne sich auch nur von einem seiner Bediensteten zu verabschieden. Und dass die Mühle verkauft werden sollte, das hatten sie erst erfahren, als der neue Besitzer vor der Tür stand. Und am Ende hieß es sogar, die beiden Brüder seien in Streit geraten, und der eine hätte den anderen erschlagen.
Der Regmüller kümmerte sich nicht um das Gerede der Leute. Durch den Betrieb beider Mühlen konnte er seinen Gewinn steigern. Im Augenblick hatte der Müller andere Sorgen: ein Marder, den er schon des Öfteren im Wald beobachtet hatte, war in seinen Hühnerstall eingedrungen und hatte ein Massaker veranstaltet. Fünf Hühner waren tot, die anderen so schwer verletzt, dass nichts anderes übrig blieb, als die Tiere sofort zu schlachten. Natürlich war diese Katastrophe in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Magd vergessen hatte, den Stall am Abend ordentlich zu schließen, aber der Zorn des Regmüllers richtete sich vor allen Dingen gegen den Marder. Er hatte ihn sogar selbst noch gesehen! Als er von der Jagd zurückkam, hatte sich der Räuber davon gemacht. Es war keiner der üblichen braunen Marder, sondern ein vollständig weißes Tier. Der Regmüller war zu überrascht gewesen, sonst hätte er natürlich sofort geschossen.
Auch am nächsten Abend ging der Mattes Weber wieder auf die Jagd. Als er zur Rutschmühle kam, da sah er zu seiner Überraschung das Tier. Der weiße Marder sprang auf das Mühlrad und sah den Müller frech an. Im Nu hatte dieser das Gewehr von der Schulter gerissen und auf den Marder angelegt. Müller und Marder waren sich so nahe, dass es dem Mann unvorstellbar schien, dass er das Tier verfehlen konnte. Er schoss.
Im Pulverblitz des Schusses erschien es Weber, als sei der Marder in tausend Stücke zerborsten, und in dem Fenster hinter dem Mühlrad war im selben Augenblick der Kopf eines Menschen erschienen, und der Regmüller war sich sicher, dass das nur ein Geist sein konnte – womöglich der Geist des auf rätselhafte Weise verschwundenen alten Müllers. Das Gespenst stieß einen unmenschlichen Schrei aus, und im nächsten Moment war es verschwunden. Der Regmüller rannte nach Hause, so schnell ihn seine Beine trugen.
»Ich bin nach Hause gerannt«, sagte der Regmüller. »Ich bin einfach nach Hause gerannt! Ich bin gewiss kein ängstlicher Mensch, das nicht, ich habe bei den Gardekürassieren in Potsdam gedient, mich kann so leicht nichts erschrecken, aber das ... das war einfach zu viel!«
Der Pfarrer nickte. Er hatte viel erlebt und war so leicht nicht aus der Ruhe zu bringen. »Vielleicht sollten wir uns die Geschichte einmal gemeinsam ansehen?«
»Ja, das ist eine gute Idee.«
Es war keine gute Idee; der Regmüller wäre am liebsten nicht mitgekommen, aber das hätte nach Feigheit ausgesehen, war es vielleicht auch, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als den Geistlichen zu begleiten.
»Diese Brüder – das
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