Kramp, Ralf (Hrsg)
doch nicht! Sie werden dich festnehmen und einsperren und vor Gericht stellen und am Ende ... am Ende werden sie dich aufhängen!«
»Red keinen Unsinn! Sie werden mich nur aufhängen, wenn sie es wissen. Wenn sie wissen, dass ich ihn getötet habe. Und das können sie nur wissen, wenn du mich verrätst.«
Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Ich werde dich nicht verraten, Peter!«
»Schwöre, dass du niemandem jemals etwas von unserer Begegnung erzählen wirst!«, verlangte er.
»Ich schwöre es!«
Das war nicht genug. Der Müller nahm Hacke und Spaten vom Pferd, legte beide Werkzeuge auf den Weg, sodass sie ein Kreuz bildeten, und zwang Maria, vor diesem Kreuz zu knien und ihren Schwur zu wiederholen.
»Ich schwöre es«, sagte Maria noch einmal, diesmal mit zitternder Stimme, denn sie musste mit den Tränen kämpfen.
»Steh auf!«
Maria erhob sich.
»Maria, hör mich an! Es tut mir leid, dass ich es getan habe. Das musst du mir glauben! Er hat mich gereizt bis aufs Blut. Wir sind in Streit geraten, haben uns geprügelt. Er war der Stärkere, aber ich war wie von Sinnen. Da habe ich ihn mit einem gewaltigen Schlag erwischt, und er ist auf einen der Mühlsteine gefallen, mit dem Kopf aufgeschlagen, und dann war er tot.«
»Wenn es so war, wie du sagst, kannst du nichts dafür. Aber das wird dir nicht helfen: Sie werden dich trotzdem aufhängen«, wiederholte das Mädchen mit trauriger Stimme.
»Sie werden mich nicht aufhängen. Sie werden mich gar nicht kriegen, denn ich gehe nach Amerika. Ich werde dort mein Glück versuchen, und wenn ich genug verdient habe, dass wir heiraten können, dann komme ich zurück und hole dich nach.« Er nahm Maria in den Arm und küsste sie.
Maria schluchzte. Sie glaubte nicht, dass er wiederkommen würde. Sie glaubte nicht, dass er sie holen würde. Sie glaubte nicht, dass sie ihn je wiedersehen würde.
Peter Ziehls fühlte sich unbehaglich. Die Mühle musste verkauft werden, sofort verkauft werden, bevor irgendjemand von dem Mord erfuhr. Freilich hatte er die Leiche an einer schwer zugänglichen Stelle im Wald vergraben, aber man konnte sich nie sicher sein, ob nicht doch irgendjemand den Toten fand. Und außerdem war da natürlich noch Maria. Sie hatte geschworen, ihn nicht zu verraten, aber was war so ein Schwur wert? Wie leicht konnte man sich verplappern. Nein, er musste weg von hier, so schnell wie möglich, und also war er am nächsten Morgen bei Mattes Weber, seinem Konkurrenten am Wallmerbach, dem Regmüller, erschienen und hatte ihm die Mühle zum Kauf angeboten.
»Ihr wollt verkaufen? Ihr habt es ja nicht lange ausgehalten!«
»Gut zwei Jahre haben wir die Mühle jetzt.« Seit dem Frühjahr 1813, der damalige Müller hatte verkaufen müssen, genau wie er jetzt. Die Gründe waren freilich andere gewesen. Der Mann hatte sich zu sehr gefreut, dass Napoleon in Russland geschlagen worden war, und dies allzu deutlich kundgetan. Es hieß damals, es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Franzosen ihn verhaften würden. Denn dass sie in Russland geschlagen worden waren, das hieß noch lange nicht, dass sie deswegen auch aus der Eifel verschwinden würden. Seit 1794 war die Eifel französisch gewesen, fast zwanzig Jahre.
Sein Bruder und er hatten damals die Mühle gekauft, für einen Spottpreis. In der kurzen Zeit, in der sie dort gewirtschaftet hatten, hatten sie mäßige Einnahmen erzielt. Natürlich hatten sie ihren Verdienst dadurch aufgebessert, dass sie den einen oder anderen Sack Mehl für sich selbst abzweigten, wie das alle Müller taten. Jedenfalls alle Müller, die sie kannten. Aber das Geld, das sie verdient hatten, das hatten sie auch genauso schnell wieder ausgegeben, und nun musste Peter Ziehls die Mühle ebenfalls für einen Spottpreis verkaufen.
»Und was sagt dein Bruder dazu?«
»Wir wollen nach Amerika«, behauptete Peter Ziehls. »Mein Bruder ist schon unterwegs. Ich komme nach, so rasch ich hier wegkomme.«
»Ja, es wollen viele nach Amerika«, erwiderte der Regmüller.
Peter Ziehls sah ihn besorgt an. Glaubte der Mann, etwas sei nicht in Ordnung bei diesem übereilten Verkauf?
Nein, der Mattes Weber war über diese unverhoffte Gelegenheit hocherfreut. Er hatte nur gerade an den Vorbesitzer gedacht. Auch von dem hatte es gehießen, er wolle nach Amerika. Ob er es wirklich geschafft hatte, oder ob ihn am Ende die Franzosen geschnappt und erschossen hatten, das wusste niemand. Warum Peter Ziehls verkaufen wollte, war ihm ziemlich gleichgültig.
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