Kramp, Ralf (Hrsg)
habe ich wenigstens meine Ruhe. Gerda, Marks Frau, ist so eine ganz Stille. Sie mag auch keinen Sport. Nach der langen Fahrt hat sie sich erst mal hingelegt, weil sie Migräne hat.
Ich habe mir vorgenommen, im Urlaub sämtliche Werke Schillers erneut zu lesen. Hach, ist das ein Vergnügen! Heute beginne ich mit
Der Menschenfeind
.
Als ich ein paar Seiten gelesen habe, stutze ich an einer Stelle. Dort, in der fünften Szene, als sich von Hutten mit seinem Haushofmeister berät und den Satz spricht: »Wir taugen nicht füreinander.«
Darüber gerate ich plötzlich ins Grübeln …
Susanne
Es war eine gute Idee von mir, mir am Arsch der Welt ein stilles Örtchen zu suchen, um meinen Krimi zu Ende zu schreiben. Ich komme gut voran, allein das Ende will mir noch nicht so recht aus der Feder fließen. Als ich heute in den Garten komme, um zu schreiben, bin ich nicht allein. Der Herr, der da sitzt und in einem Reclam-Heftchen liest, ist mir schon beim Frühstück aufgefallen. Er wirkt so verträumt und erinnert mich an meinen verstorbenen Vater.
Als ich ihn grüße, schaut er auf, fast ein bisschen verhuscht irren seine Blicke umher. Er trägt eine Brille mit Gläsern, die an dicke Flaschenböden erinnern. Ich stelle mir vor, wie ich ihm die Brille abnehme und er nichts mehr erkennen kann, und wie ein Maulwurf umhertappt. Wie süß! Irgendwie erweckt er meinen Mitleidsinstinkt.
Leider interessiere ich ihn weniger. Als ich frage, was für ein interessantes Buch er denn da liest, fühlt er sich fast ein bisschen gestört. Schließlich sagt er:
Die Braut von Messina
.
Er will sich schon wieder in sein Buch vertiefen, da erstaune ich ihn mit meinem Wissen: »Ach?«, sage ich. »Die Braut von Messina oder die feindlichen Brüder. Man merkt beim Lesen, dass es erst Schillers zweites Schauspiel war.« Tja, denke ich. Manchmal ist es doch was wert, als Tochter eines Deutschlehrers aufgewachsen zu sein. Mein Vater verehrte Schiller. Abgöttisch! Und er liebte es, uns Kinder die Schauspiele aufführen zu lassen. Wir waren zu dritt, manchmal mussten wir daher in mehrere Rollen schlüpfen. Komischerweise habe ich das geliebt.
Der Gast guckt jetzt wie ein Meerschweinchen. »Ja, Sie haben recht«, sagt er erstaunt, und sein Blick fragt irritiert: »Aber woher kennen ausgerechnet Sie sich mit Schiller aus?«
Als gegen Mittag seine Frau, die er Schnäuzchen nennt (»Am Anfang unserer Ehe ja Hasischnäuzchen, jetzt nur noch Schnäuzchen«), und dieser Sportlehrer eintreffen, habe ich zwar kein Wort geschrieben, aber dafür weiß ich nun eine ganze Menge über Herbie. Und er über mich. Er ist so ein interessanter Mann! Leider hat er vor zwei Jahren einen Herzinfarkt erlitten. Seitdem muss er etwas kürzer treten. Aber er ist ganz froh darüber. Seitdem er in der Schule weniger Stunden unterrichten muss, hat er ein neues Hobby entdeckt: Briefmarken sammeln. Er ist ganz aus dem Häuschen, als ich ihm erzähle, dass mein Vater auch Briefmarken gesammelt hat.
»Nicht dass Sie mich falsch verstehen«, sagt er, »aber ich würde mir gern mal die Briefmarkensammlung Ihres verstorbenen Herrn Vater ansehen.«
Herbie wohnt nämlich gar nicht so weit entfernt von mir. In Bochum, also gleich um die Ecke.
Während ich mich ins Hotel zurückziehe, höre ich Schnäuzchen verächtlich zu ihrem Sportfreak sagen: »Guck mal, die da. Ich glaube, Herbert hat ‘ne neue Freundin.«
»Na, dann wird ihm hier im Hotel wenigstens nicht langweilig«, antwortet der Typ an ihrer Seite. Es klingt ebenfalls nicht sehr respektvoll.
Petra
»Ich glaube, er ahnt was.«
»Quatsch«, sagt Mark. »Wie soll der was ahnen? Der schmökert doch die ganze Zeit in seinen Heftchen.«
»Er hat mich heute so komisch angeguckt, und dann hat er gemurmelt: ›Glücklich, wem der Gattin Treue, rein und keusch das Haus bewahrt!‹ Und als ich ihn fragte, was er denn damit meine, hat er nur gesagt, das sei ein Zitat von Schiller. Es sei ihm nur so in den Sinn gekommen, nichts weiter, und er sei glücklich, dass er so eine treue Ehefrau habe.«
»Ja und? Was ist daran Besonderes? Glaub mir, Hasi, er hat nach wie vor keinen Schimmer von uns beiden.«
»Als er schlief, habe ich ein wenig in dem Bücherstapel auf seinem Nachttisch gestöbert. Ich musste nicht lange suchen, denn das Buch lag ganz oben. Und die Seite, auf der das Zitat steht, hat er mit einem Eselsohr gekennzeichnet und dick markiert. Es war gar nicht zu übersehen.«
»Na und?«
»Verstehst du nicht? Er
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