Krampus: Roman (German Edition)
Brust und wandte sich ab. Als Krampus den beiden Brüdern den Mantel entgegenstreckte, zuckten auch sie zurück, als handelte es sich um eine Schlange. Chet kicherte, woraufhin Krampus ihn musterte. Er hielt ihm den fliederfarbenen Mantel hin.
Chet schüttelte den Kopf. »So was ziehe ich nicht an.«
»Leg ihn an. Das ist ein Befehl.«
»Ja, Mann«, sagte Chet und tat wie geheißen, wobei er ein Gesicht machte, als zwinge ihn jemand, Mottenkugeln zu essen.
Als Jesse laut schnaubte, drehte Chet sich zu ihm um. »Ein Wort von dir, du kleine Fotze«, knurrte Chet. »Na los. Ich brech dir den Kiefer. Wart’s ab.«
Jesse warf ihm eine Kusshand zu.
Sein Gegenüber verzog angewidert den Mund und kam mit einem mordlüsternen Funkeln in den Augen auf Jesse zu.
»Aufhören«, befahl Krampus. »Nicht hier.«
Chet blieb stehen und starrte Jesse weiter finster an.
Jesse zeigte ihm den Mittelfinger und grinste. Chet bekam einen roten Kopf. Er sah aus, als würde er jeden Moment in die Luft gehen.
Da entdeckte Krampus ein rotes Band, mit dem er sein langes Haar zusammenhielt. Dann begutachtete er seine Belznickel, nickte und lächelte. »Elegant, verwegen … genau so, wie es sich für die Diener des Herrn der Julzeit geziemt.«
Jesse fand, dass sie kaum lächerlicher hätten aussehen können.
Krampus durchquerte den Anbau, bis sie einen Torbogen mit einer Tür aus massivem Eisen erreichten. Er drehte den Knauf und drückte dagegen. Die schwere Tür öffnete sich nach innen auf einen kurzen Flur, der sich in der Dunkelheit verlor.
»Holt mir eine Laterne«, befahl Krampus.
Isabel schob sich an ihm vorbei und betätigte einen Schalter, worauf der Flur und der dahinterliegende Raum von Licht durchflutet wurden. Sie lächelte Krampus zu. »Einige Dinge haben sich durchaus zum Guten verändert.«
Der Alte musterte den Schalter und machte das Licht einige Male aus und wieder an. »Mag sein.«
Der kurze Flur führte zu einem großen, ovalen Zimmer mit einem von Balken durchzogenen, kathedralenartigen Deckengewölbe. Jesse fühlte sich sogleich an das Labor eines verrückten Wissenschaftlers erinnert. Der Raum wirkte wie ein Ort, an dem Dr. Frankenstein die Toten zum Leben erweckt.
Krampus ging zwischen den Holztischreihen entlang, vorbei an Bechern und Flaschen mit schimmernden Flüssigkeiten, an hohen Regalen mit Gläsern voll präparierter Tiere: Frösche, Eidechsen, Schlangen, Tintenfische, metallfarbene Käfer sowie Glas um Glas mit Pulvern, Blättern, Wurzeln und Pilzen. Der Herr der Julzeit zupfte an seinem Kinnbart, während er in die Schüsseln und Petrischalen spähte, Bücher durchblätterte und sich nach und nach von einem Arbeitsplatz zum nächsten stöberte und schnüffelte. Er rührte mit dem Finger in einer Petrischale voll sprießender Kristalle, brach einige der größeren Exemplare ab und hielt sie ins Licht.
»Alchemie.« Krampus schien beeindruckt. »Diamanten, Rubine, Saphire. Alle von höchster Güte. Hier hat jemand eine ganze Menge uralter Geheimnisse wiederentdeckt.«
Er ließ die Edelsteine zurück in das Schälchen fallen und ging weiter, um sich kurz darauf in ein zerfleddertes Buch voller handgekritzelter Zeichen und Runen zu vertiefen, während die Belznickel wie Kinder in einem Kuriositätenkabinett gaffend herumstanden. Jesse spähte in zwei leere Augenhöhlen, vermutlich der Schädel eines Pavians, den jemand rot angemalt und mit Nägeln gespickt hatte. Jesse kam zu dem Schluss, dass der drollige alte Nikolaus nicht ganz der nette Kerl war, für den er ihn immer gehalten hatte.
Unterdessen schlich sich Chet an das Schälchen mit den Edelsteinen heran, nahm eine Handvoll heraus und steckte sie sich in die Manteltasche. Jesse wollte es ihm gerade gleichtun, als Isabel ihm einen Stoß in die Seite versetzte.
»Das würde ich an deiner Stelle bleibenlassen.«
»Was? Wieso denn?«
»Vielleicht sind sie giftig.«
Jesse beäugte die eingestaubten Edelsteine, biss sich auf die Unterlippe und wollte gerade trotzdem einige herausnehmen, als Krampus das Buch mit lautem Knall zuschlug. Jesse zuckte zusammen und zog hastig die Hand zurück.
»Hier, seht euch das an«, rief der Herr der Julzeit und führte sie an ein hohes Regal. Er griff nach einem Baumwollsäckchen, das etwa so groß war wie eine Kilopackung Zucker, löste die Kordel und holte eine Handvoll braune Erde daraus hervor. Langsam ließ er die feinen Körner zwischen den Fingern hindurch zurück in den Sack
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