Krampus: Roman (German Edition)
nicht zum ersten Mal gestorben.«
Die Belustigung wich aus seiner Miene.
»Er ist Gottes auserwählter Diener.« Sie trat vor, und ihr ausgestreckter Finger bebte nun vor Zorn. »Gott wird die Walküren schicken, und Sankt Nikolaus wird sich noch vor dem Morgengrauen wieder erheben. Und dann«, schrie sie, »werden sie dich zusammen jagen und zur Strecke bringen, du Bestie!«
Diesmal wich Krampus zurück, und zum ersten Mal, seit Jesse sich erinnern konnte, wirkte der Herr der Julzeit verunsichert.
Die Frau wirbelte herum und stürmte davon, die Mädchen folgten ihr auf dem Fuße.
Reglos starrte Krampus ihr hinterher, bis sie außer Sicht war. »Dies ist ein Ort des Bösen.«
Das Lagerhaus brannte nun ebenfalls, und die Flammen griffen bereits auf das Hauptgebäude über. Jesse und die anderen Belznickel schlugen die Funken aus, die auf ihren Kleidern und in ihren Haaren landeten. Krampus wirkte wie in Trance.
»Wir sollten von hier verschwinden«, drängte Isabel. »Meinst du nicht auch?« Sie berührte Krampus am Arm.
»Ja«, sagte er. »Nur eines noch.« Mit schnellen Schritten eilte er auf den Hof, beugte sich vor und hob etwas vom Boden auf. Als er zurückkehrte, trug er den Kopf von Nikolaus in der einen und den Speer in der anderen Hand. »Solange ich diese beiden Dinge besitze, wird er niemals zurückkehren.« Er steckte den Speer in seinen Peitschenköcher und den Kopf auf die Spitze.
»Steigt auf«, rief Krampus, und sie quetschten sich zusammen auf den kleinen Schlitten. Er stellte sich auf die Vorderbank, verharrte noch einen Moment und ließ den Blick über die Flammen und das Ausmaß der Zerstörung schweifen. »Es ist gut, schrecklich zu sein«, sagte er und tätschelte den Kopf seines Widersachers.
»Auf, Tanngnost! Auf, Tanngrisnir!«, rief Krampus, und die Ziegen zogen den Schlitten langsam vorwärts.
Mit einem Mal stellte Jesse fest, dass sie in den Himmel emporstiegen. Er hielt sich gut am Geländer fest, als der Schlitten aufs Meer hinausflog, der Wind das kleine Gefährt hin und her warf und die Julböcke beschleunigten. Über die Wellen hinweg sausten sie nach Westen, während das Mondlicht auf den Schaumkronen unter ihnen glitzerte.
»Es ist Julzeit«, brüllte Krampus. »Zeit, dass die Welt die Rückkehr des Herrn dieses Festes feiert!«
Er legte den Kopf in den Nacken und lachte lauthals, während sie die Nacht über den Atlantik vor sich hertrieben.
Teil 3
Julzeit
Kapitel 12
F rohes Julfest
Geri empfing sie an der Tür. Wenn ein Wolf lächeln konnte, dann, da war sich Jesse sicher, lächelte dieser Wolf sie an. Krampus sprang vom Schlitten, rannte ihr entgegen und schloss sie in die Arme.
»Frohes Julfest!«, rief er und stolzierte in die Kirche. Er nahm den Sack und drehte sich im Kreis. »Wir brechen auf! Wir brechen auf!«
»Was? Wohin?«, fragte Vernon, der gerade die beiden Säckchen mit Schlafsand ablegte. »Heute Nacht? Das kann unmöglich dein Ernst sein. Außerdem ist Weihnachten für dieses Jahr vorbei.«
»Wir feiern nicht Weihnachten, du Dummkopf!«, rief Krampus. »Weihnachten gibt’s nicht mehr! Wir feiern das Julfest. Die Julzeit geht über mehrere Wochen, und dieses Jahr wird sie so lange dauern, wie ich es für nötig erachte, um meine Botschaft zu verbreiten.«
Die Shawnees warfen einander aufgeregte Blicke zu, doch Vernon stöhnte bloß und ließ sich auf eine der Kirchenbänke fallen. »Ich bin müde und hungrig.«
Krampus stieß ein abfälliges Prusten aus. »Es ist Festzeit, da wird sich reichlich Speise finden. So, und jetzt aufgestanden. Nimm den Schlafsand, füll eine Handvoll davon in kleine Beutel und pack sie ein.«
»Beutel?«, jammerte Vernon. »Wo soll ich denn bitte welche hernehmen?«
Wipi zog sein Messer und stach auf einen der Vorhänge ein. Er schnitt drei Stücke heraus, faltete sie und benutzte einen Teil des Zugbands, um sie zuzuknoten. Innerhalb weniger Minuten hatte er drei kleine Beutel angefertigt, die er Vernon reichte.
»Glotz nicht so verdammt selbstzufrieden«, sagte Vernon, als er die Säckchen entgegennahm.
Isabel näherte sich Freki, dem verletzten Wolf, neben dessen Lagerstatt ein paar sorgfältig abgenagte Knochen lagen. Freki gelang es, sich aufzurichten, um sie zu begrüßen. Unsicher stand er da, während Isabel ihm die Mähne zauste. Sie wirkte winzig vor dem riesigen Tier, das ihr ohne Schwierigkeiten den Kopf hätte abbeißen können. Der Wolf schob ihr die Schnauze ins Haar, während sie neuen Met in die
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