Krampus: Roman (German Edition)
leichten Tod gehabt, manche einen schweren, aber unabhängig davon hatte er nie viel empfunden, wenn er es erst einmal hinter sich gebracht hatte. Bei Ellen lagen die Dinge anders: Nicht ein einziger Tag verging, ohne dass er an sie dachte. Würde es bei Linda genauso sein? Er glaubte es nicht. Zwar liebte er Linda, aber er würde nie wieder einen Menschen so sehr lieben können wie Ellen. Er ging davon aus, dass er früher oder später dazu in der Lage sein würde, Lindas Gespenst hinter sich zu lassen. Zumindest hoffte er es, denn diesmal würde es keine saubere Exekution werden: Linda und Abigail mussten ähnlich grausam sterben wie die Toten auf dem Gelände des Generals. Es musste aussehen, als wären sie die Opfer eines erzürnten, eifersüchtigen Ehemanns. So etwas konnte einen noch lange verfolgen.
Er schloss die Augen, holte tief Luft und versuchte, seine Gefühle zu verdrängen. Linda würde nicht länger die Frau sein, die er geliebt hatte, und Abigail würde nicht mehr das kleine Mädchen sein, das er so oft zum Kichern gebracht hatte. Sobald er durch die Tür trat, waren sie nichts als Fleisch, das aufgeschlitzt und ausgeblutet werden musste.
Nachdem er langsam ausgeatmet hatte, öffnete er die Augen, nahm den Plastikbeutel vom Sitz und stieg aus. »Versuch, nichts zu empfinden«, sagte er zu sich selbst, während er über den gepflasterten Fußweg ging. »Versuch es einfach.«
Vorsichtig öffnete er die Eingangstür und betrat leise das Haus. An der Wand waren drei große Einkaufstaschen aufgereiht, in denen sich Lindas und Abigails ordentlich zusammengelegte Kleider befanden, gleich daneben zwei Plastikmüllbeutel mit den Puppen, die Jesse Abigail geschenkt hatte, und den restlichen Sachen, die die beiden mitgebracht hatten. Der Umstand, dass Linda ihre Sachen packte, beunruhigte Dillard nicht so sehr wie die Tatsache, dass sie sich seine Warnung nicht zu Herzen genommen hatte. Ihre Missachtung bestärkte ihn nur in der Überzeugung, dass ihr nicht zu trauen war, dass er das Richtige tat. Nämlich das, was er tun musste.
Aus dem Wohnzimmer drangen Fernsehergeräusche und die Stimme von Linda, die mit Abigail redete. Gut, dachte er, sie sind zusammen. Er schob den Riegel an der Eingangstür vor und stellte die Taschen davor. Er wusste, dass er dadurch niemanden hier festhalten konnte, aber er wollte, dass jemand, der das Haus schnell verlassen wollte, zumindest aufgehalten werden würde.
Durch den kurzen Flur ging er am Badezimmer vorbei ins Wohnzimmer. Der kleine Essbereich war nur durch eine hohe Anrichte von der Küche getrennt. Abigail saß mit dem Rücken zu ihm auf einem der Barhocker und spielte mit ihren Puppen. Linda stand in der Küche und hantierte am Herd. Als sie ihn bemerkte, zuckte sie zusammen. Ein eisiger Ausdruck trat in ihre Augen, und sie wandte den Blick ab.
»Wie ich sehe, hast du deine Sachen gepackt«, sagte Dillard.
Abigail hörte auf zu spielen und drehte sich zu ihm um. In ihrem Gesicht nicht die geringste Spur ihres vergnügten Lächelns. Verängstigt schaute sie zu ihrer Mutter hinüber.
»Ich hätte dann gerne meine Schlüssel zurück, bitte.« Linda klang erschöpft und ausgelaugt.
»In Ordnung«, sagte er und ging durchs Wohnzimmer in den Essbereich. Er nahm das Polizeifunkgerät, stellte es auf laut und legte es auf den Tisch, um auf jeden Fall mitzubekommen, wenn eine Meldung über Jesse einging. Die Plastiktüte plazierte er gleich daneben, dann kramte er die Schlüssel aus der Tasche und warf sie auf den Tisch.
Linda war gerade dabei, Abigail einen Grillkäse zu machen, und kehrte ihm den Rücken zu. Dabei gab sie sich größte Mühe, ihn nicht anzusehen. Dillard beugte sich vor und steckte den Blockierstift in die Glasschiebetür – eine weitere Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass die Situation außer Kontrolle geriet. Dann spähte er nach draußen in den Garten. Das letzte Licht der untergehenden Sonne umrandete die Hügelkuppen.
Ihm gehörten knapp fünf Hektar Land am Fluss; sein nächster Nachbar war Tomsey, der ein gutes Stück weiter südlich auf der anderen Seite des Wäldchens wohnte. Angesichts des Wäldchens und des Umstands, dass der alte Tomsey so gut wie taub war, machte Dillard sich keine großen Sorgen darum, dass jemand die Schreie hören könnte.
Er wusste, dass er sich beeilen musste, weil mit jeder Minute, die er vertrödelte, die Gefahr wuchs, dass jemand das Gemetzel auf dem Schrottplatz entdeckte oder Jesse in der Stadt
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