Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Bilanz verhagle. Ich wurde zur Risikopatientin, die Geld kostet. Aber ich brauchte eben gewisse Therapien. Ohne Lymphdrainage bekam ich schlecht Luft; meine Lunge machte seltsame Geräusche. Das kam von Lymphstauungen an der Seite. Ich biss auf die Zähne, kämpfte wie ein Tier, versuchte alles in den Griff zu bekommen. Immer dachte ich: Gott sei Dank ist mein Mann noch da! Doch am 5. Januar 2008 fiel auch mein Mann aus, er kam mit einem Herzinfarkt in die Klinik.«
Ich war gespannt, wie Manuela mit diesem Schicksalsschlag fertig wurde. »Erst überhaupt nicht«, gab sie zu. »Ich erstarrte vor Angst. Meine Hausärztin reagierte sofort, erkannte die Notsituation, stellte eine Bescheinigung für die Krankenkasse aus. Ich benötige unbedingt eine Haushaltshilfe, und zwar sofort. Ja, das war nicht übertrieben. Ich stand da mit zwei Kindern, hatte am ganzen Körper nach der letzten OP noch viele offene Stellen und hatte die Kleinen zu versorgen. Obwohl ich in meiner Beweglichkeit bereits enorm eingeschränkt war, wurde mir vom medizinischen Dienst eine vorübergehende Hilfe abgelehnt. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich hatte panische Angst, was nun kommen würde. Was war mit meinem Mann? Packte ich das mit den Kindern? Wer würde mir beim Anlegen der Verbände helfen? Ich durfte, konnte mich nicht hängen lassen, schon wegen meiner Kinder nicht! Also versuchte ich das Beste aus meiner Situation zu machen, was mich unglaubliche Kraft kostete. Alle meine Versuche, an eine Hilfe zu kommen, blieben erfolglos … Es ist wirklich nicht einfach, mit den psychischen Belastungen bei einer solchen Erkrankung umzugehen. Kein Außenstehender kann sich in das, was bei Akne inversa passiert, hineinversetzen. Ein paar Mal versuchte ich, das meinen Ansprechpartnern mitzuteilen. Am liebsten hätte ich gesagt: Schauen Sie, hinter meiner Erkrankung verbirgt sich doch ein Mensch, der Gefühle hat und leben möchte! Doch ich glaube, sie waren alle froh, wenn sie mich wieder von der Pelle hatten, wenn ich aufgelegt hatte, aus dem Zimmer getreten war und sie das Aktenzeichen Manuela B. wieder wegklicken konnten. In letzter Konsequenz ging es immer nur um Geld. Und ich war einer von diesen Losern, die dauernd Bitte, Bitte machten und Kosten verursachten.«
In den langen Gesprächen mit Manuela ist etwas von der Kälte zu spüren, die sich in unser Gesundheitswesen eingeschlichen hat, eine geschäftsmäßige Kälte, die es früher so nicht gab. Es gehört zum Grundbestand unserer Humanität, dass man dem Schwachen mit Mitgefühl und dem Leidenden mindestens mit Respekt begegnet, wo man ihm schon keine Liebe geben kann. Vielleicht brauchte Manuela nur das, um mit neuem Mut weiterleben zu können. Es gibt bei jeder Krankheit gute und schlechte Tage. Manuela hat sicher viel geweint, aber sie hat sicher auch gelacht. Nicht alles sieht sie nur schwarz. Sie musste lernen, mit ihrer Krankheit zu leben und psychisch zu überleben! Und es gab auch immer wieder Lichtblicke, Tage voller Glück. Am 9. September 2003 war so ein Tag, an dem sie sich selig fühlte. Es war der Tag, an dem ihr zweiter Sohn gesund und munter zur Welt kam.
An ihrer Erkrankung hat sich kaum etwas verändert. Manuela wurde in den letzten zwei Jahren 41 Mal operiert. In ihren Berichten spüre ich auch, wie oft sie an die Grenzen ihrer eigenen Kraft kommt. An manchen Tagen ist sie niedergeschlagen und zu nichts zu gebrauchen. Gottlob ist sie eine Kämpfernatur. Außerdem hat sie das Glück, dass ihr Mann sie trotz seiner eigenen gesundheitlichen Probleme – inzwischen hat er den dritten Herzinfarkt überstanden – immer wieder ermutigt, nicht aufzugeben, und sie an jedem neuen Tag unterstützt.
Wie konnte man dieser Frau in ihrer größten Not die Haushaltshilfe verweigern? Wusste man nicht? Sah man nicht? Wollte man nicht? Sicher mache ich mir da falsche Gedanken, sonst hätten sie ja reagiert, die Schreibtischtäter in den Glaspalästen der Versicherungen. Der Pfarrer des Ortes sprang ein und finanziert seit 2008 einmal pro Woche für zwei Stunden eine Putzhilfe. Manuela hat mir einen Berg Papier mitgegeben. Ich kann das alles gar nicht lesen. Es sind verzweifelte Schreiben an Gesundheitspolitiker darunter, und auch Antwortschreiben dieser Leute, die sind, wie solche Schreiben in aller Regel sind: hinhaltend, vertröstend, abwiegelnd. Manuelas Briefe sind konkret. Was sie schildert, lässt einem die Haare zu Berge stehen.
Ich greife nur einen Fall heraus: Da war
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