Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Übernahme von Kontaktlinsen für seine Patientin eingereicht. Das war die Antwort.
Man muss zweimal lesen und dreimal schlucken, um zu begreifen, was eine Heerschar von Experten formuliert und mehrere Hundertschaften Abgeordnete im Bundestag abgenickt haben. Die entsprechende Passage im sogenannten »Gesundheitsmodernisierungsgesetz« bedeutet auf gut Deutsch: Wenn ein Augenkranker blind bleibt wie ein Maulwurf, finanziert die gesetzliche Krankenversicherung sogenannte Sehhilfen. Blickt der Patient mit Hilfe spezieller Kontaktlinsen aber ein wenig mehr durch und seine Krankheit wird erfolgreich therapiert, gibt es keinen Cent aus dem milliardenschweren Solidartopf.
Doch diese Vorschrift war nur der Auftakt zu einer abstrusen weitergehenden Entwicklung. Inzwischen scheitern an schweren Augenleiden erkrankte Menschen und ihre behandelnden Ärzte an einem Parcours unüberwindlicher bürokratischer Hürden. Die Aussicht: Ein selbstbestimmtes Leben weicht einem Dasein ohne jede Perspektive.
Lena leidet seit fast 40 Jahren an solch einer seltenen, unheilbaren Krankheit. Sie war 16 Jahre alt, als sie zwar die Buchstaben im Schulheft deutlich erkennen konnte, die Texte der Lehrer an der Tafel jedoch vor ihren Augen verschwammen. Kurzsichtig? So lautete auch die erste Diagnose. Eine Brille korrigiert zunächst die Fehlsichtigkeit. Doch manchmal sah und sieht Lena entferntere Gegenstände ganz scharf. Tage später nimmt sie dieselben Dinge nur verzerrt wahr – selbst durch die neuen Gläser vor ihren Augen. Nach einigen Terminen bei verschiedenen Augenärzten stellt schließlich ein erfahrener Arzt die korrekte Diagnose: Keratokonus. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet das Wort: kegelförmiges Horn, medizinisch steht der Begriff für ein Auswölben der Hornhaut.
Warum sich das »Fenster des Auges« auf eine so spezielle Weise verändert, ist noch nicht sicher geklärt. Da die Krankheit in Familien häufiger bei mehreren Personen auftritt, wird ein Defekt im Erbgut als Ursache diskutiert. Experten sprechen von einem Keratokonus Typ A. Diese Veranlagung erleichtert zumindest das Ausbrechen der Krankheit. Ob sie allein ausreicht, kann niemand zuverlässig sagen. Andere Faktoren setzen die Degeneration der Hornhaut ebenfalls in Gang: Hartes UV -Licht, Kleinstpartikel in verschmutzter Luft, häufiges Augenreiben aufgrund von Allergien, Stoffwechselstörungen, andere Augenleiden werden als Auslöser diskutiert. Die Missbildungen der Hornhaut vom Typ B entstehen aus heiterem Himmel, ganz überwiegend während der Pubertät.
Was sich in der 0,5 bis 0,75 Millimeter dicken Außenhaut des Sehapparates abspielt, weiß man mittlerweile. Die nicht durchblutete Hornhaut besteht aus fünf Schichten. Eine äußere (Epithel) und eine innere Zellschicht (Endothel) sowie zwei Membranen umschließen den Hauptteil des gewölbten Scheibchens. Das Epithel sorgt für die gleichmäßige Verteilung des Tränenfilms, der kleinste Unregelmäßigkeiten auf der Augenoberfläche glättet, und ist an der Aufnahme von Nährstoffen und dem Abtransport von Stoffwechselresten beteiligt. Es schützt auch vor Infektionen. Das Endothel kann man sich als Kleinstwasser- und Klärwerk vorstellen. Es transportiert Stoffwechselprodukte ab und tauscht Flüssigkeit zwischen der Hornhaut und der dahinterliegenden Augenkammer aus. Stroma heißt das in der Mitte liegende Bindegewebe. Es besteht aus sehr dünnen und parallel angeordneten Kollagenfasern. Sie sind in etwa 200 bis 250 Lagen kreuzweise übereinander angeordnet und bilden ein regelmäßiges Gitter von hoher Stabilität. Diese Eiweißketten sind durch eine Kittsubstanz verbunden, die aufgrund von Oberflächenladung in der Lage ist, relativ große Wassermengen an sich zu binden. Bindegewebsfasern und Kittsubstanzen liefern durch einen gleichbleibenden Wassergehalt die Gewähr, dass die Hornhaut durchsichtig ist und ihre Funktion als wichtigstes lichtbrechendes Medium erfüllt: ungetrübtes Sehen.
Die Erkrankung Keratokonus greift in dieses filigrane Gefüge ein. Die vorderen Zellschichten der Hornhaut werden dünner und weisen eine unregelmäßigere Struktur auf. Auch die angrenzende Membran dünnt aus und vernarbt. In der Bindegewebsschicht verändert sich die Zusammensetzung der Zellen. Ihre Struktur wird dadurch instabiler. Es sterben auch mehr als üblich Zellen ab, die nicht alle ersetzt werden. Auch hier reduziert sich die Stärke der Zellschicht. Außerdem bilden sich kleinste Narben. Die Tücke
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