Krank in Deutschland. Ein Tatsachenreport
Manuela frisch operiert worden. Der Chirurg im Krankenhaus hatte tägliche Spülungen der Wunde verordnet. Nun muss man kein Mediziner sein, um zu wissen, dass anschließend antiseptische Verbände notwendig sind. Der Kostensparer vom MDK , dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen, entschied am Schreibtisch, dass die Wundversorgung dreimal wöchentlich ausreichen würde. Der behandelnde Arzt, sagt mir Manuela, als ich sie am Telefon noch einmal auf den Fall anspreche, habe ihr zugeraunt: »Diese Brüder sollte man anzeigen!« Natürlich lässt sich eine solche Entscheidung ökonomisch erklären, nur wer bitte hat jetzt hier das Sagen? Ist es noch der Arzt, der weiß, was sein Patient in seiner konkreten Situation braucht? Oder ist es schon längst der medial begabte, bürokratische Ferndiagnostiker von der Krankenkasse?
Nicht nur einmal hing im Fall Manuela eine Besserung des Gesundheitszustandes von der Entscheidung eines Kassenangestellten
ab. Der behandelnde Arzt entschied Anfang 2010, die klaffende Wunde in Manuelas Oberschenkel durch das Einsetzen eines speziellen
Schwammes ( VC Therapie) zu versorgen. Das Verfahren hatten mehrere Mediziner befürwortet. Kostenfaktor: ganze 800 Euro! Es ging um zehn spezielle Wundbehandlungen, in denen dieser Schwamm eingesetzt werden sollte, um das Gewebe beim Aufbau zu unterstützen. Auch unter ökonomischen Gesichtspunkten stellte sich diese Therapieform als vergleichsweise günstiges Verfahren heraus; sie ist einfach weitaus billiger als jede Operation, woraus wiederum wochen-, oft monatelange Wundbehandlungen entstehen. Doch der zuständige Arzt im Krankenhaus hatte die Rechnung ohne die Krankenkasse gemacht! Die Mitarbeiter der Krankenkasse stellten sich zunächst einmal tot, was immer Kosten spart. Manuela und ihre Therapeuten warteten ungeduldig auf eine Antwort. Doch die Antwort auf die Anfrage der Kostenübernahme ließ Woche um Woche auf sich warten. Der zuständige Chefarzt übernahm schließlich die Verantwortung und setzte aufgrund medizinischer Indikation den Schwamm in die offene, klaffende Wunde ein. Und siehe da, bereits nach einer Woche war eine Verbesserung sichtbar. Auch dies wurde der Kasse mitgeteilt. Aber da war man zunächst noch längere Zeit tot für Manuela. Die Kostenübernahme der Kasse wurde zum Politikum. Obwohl die Wunde schon beim ersten Einsatz der neuen Therapieform nach vielen Monaten angefangen hatte zu heilen, wurde die Behandlung auf Weisung der Krankenkasse abgebrochen. Die Kasse ließ mitteilen, die Wundmanagerin des MDK käme bei Manuela zu Hause vorbei – zum Ortstermin. Mir ist nicht klar, welche den Ärzten überlegene Qualifikation diese »Wundmanagerin« wie, wo und von wem erworben hat. Der Ortstermin reduzierte sich auf einen prüfenden Blick der »Managerin« in die klaffende Wunde am Oberschenkel, was zur Aussage führte: »Die Wunde sieht doch gar nicht so schlecht aus!« Der aktuelle Stand Mai 2010: Ob der MDK die medizinische Indikation für eine Kostenübernahme akzeptiert, ist weiter ungewiss. Die Wunde hat sich inzwischen neu infiziert. Manuela musste sich wegen des Zögerns der Kasse einer weiteren schweren Operation unterziehen.
»Und jetzt?« Die wievielte OP steht an, wollte ich von ihr wissen.
»Ich hör einfach auf zu zählen!«, meint Manuela und lacht mir unter Schmerzen zu.
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4. Inhumane Einsparungen I
Blind musst du sein!
D ass das so läuft, kann doch nicht Sinn der Sache sein.« Lena M. ist aufgewühlt, verärgert, empört und zugleich maßlos enttäuscht. Ihre Krankenkasse teilt ihr mit: »Nach der aktuellen Gesundheitsreform kann Ihre Kasse die Kosten für Sehhilfen übernehmen, wenn eine Sehschwäche auf beiden Augen bei bestmöglicher Korrektur von 30 Prozent oder weniger besteht oder die Sehhilfe zur Behandlung von Augenverletzungen oder Augenerkrankungen dient.«
Von wegen »Ihre«! Und wo fangen für die »größte Betriebskrankenkasse in Baden-Württemberg« Krankheiten an einem ganz wichtigen Sinnesorgan des Menschen an? Lenas Unmut ist mehr als eine spontane Reaktion auf ein Schreiben, das sie Ende August 2009 erhielt. Die Frustration ist über die vergangenen vier Jahre gewachsen. Bereits am 14. Januar 2004 hatte der Bescheid ihrer Kasse gelautet: »Da Ihre maximale Sehkraft mit Korrektur durch die Kontaktlinse über 30 Prozent liegt, dürfen nach dem ab 1. 1. 2004 geltenden Gesetz die Kosten nicht mehr übernommen werden.« Der Augenarzt hatte einen Kostenvoranschlag zur
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