Kraut und Rübchen - Landkrimi
Blume, die mich an ein Maiglöckchen erinnerte, prangte deutlich darunter. Ich suchte weiter und fand den nächsten. »Gregor Rosegger, gestorben im Jahre des Herrn 1853«, darunter ein Sinnspruch. »Nun Herr, weß soll ich mich trösten. Ich hoffe auf dich.« Kein zweiter Name. Angerl war später nicht bei ihm beerdigt worden.
Ich betrachtete die lange Reihe der Grabsteine, deren Inschriften ich noch nicht entziffert hatte. Wie viele von den Namen würde ich noch in Hildas Tagebuch finden?
Ich trat einen Schritt zurück und fasste meine Jacke enger, während ich mich umdrehte. Vielleicht wäre es doch am besten, alles auf sich beruhen zu lassen und einfach zu verschwinden. Mila würde liebend gerne einspringen und alles, was man von mir erwartete, übernehmen. Ich blickte über die Begräbniswiese und stutzte.
Die Blume auf Gregor Roseggers Grab hatte verblüffende Ähnlichkeit mit der auf Erwin Wintherscheids Stein. Ich stolperte mehr, als dass ich rannte, um genau nachzusehen.
»Du hast recht, Katharina«, flüsterte ich und ging zum nächsten Findling. Name, Daten, keine Blume. Beim übernächsten und dem daneben auch nicht. Aber dann entdeckte ich wieder eine. Unter einem Namen, der mir nichts sagte. Ich zog mein Handy aus der Tasche und machte ein Foto. Ich lief weiter, suchte und fand sie, eine nach der anderen, gleichmäßig über die vergangenen Jahrzehnte verteilt, bis ins Jahr 1853 zurückgehend. Gustav Mayerhofer, der Schmied, war als Erster mit dieser Blume auf dem Grabstein beerdigt worden.
Langsam schritt ich die Reihe ein zweites Mal ab, diesmal auf die Namen und nicht auf die Zeichnungen konzentriert. Vierzig Jahre in fünfundzwanzig Schritten, bis ich stehen blieb. »Hier ruhet sanft Agnes Falkenhof, Herrin zu Gut Kaulmbach.« Agnes war 1896 im Alter von siebzig Jahren gestorben. Ein schlichter Stein mit einem schmalen Sockel.
Hilda hatte nur anderthalb Jahre länger gelebt. Bis zum Sommer 1898. Ihr Stein hatte die gleiche Größe und Form wie der von Agnes.
Ich versuchte, mir vorzustellen, wie ihr Grab einmal ausgesehen haben mochte. Dass sie den Gesindestatus irgendwann in ihrem Leben hinter sich gelassen haben musste, bezeugten Form und Größe des Steins.
Ich beugte mich näher an die Inschrift. Sie war verwitterter als bei Agnes. Ich nahm eine Handvoll weicher Erde und rieb sie über die Oberfläche. Sie hielt nicht so gut wie der Schnee, aber es funktionierte. Als ich die losen Krümel abwischte, konnte ich die Inschrift lesen. »Unser Dank sei dir geschuldet, ruhe sanft.« Ein ganzer Strauß Blumen unterschiedlichster Art schmückte die untere Hälfte, beinahe vollständig verschwunden und nur durch die dunklen Rillen der Erde wieder sichtbar gemacht.
Von einer Ahnung getrieben, ging ich nach rechts, folgte der Spur. Auch hier blühten kleine versteckte Blumen auf dem Sandstein. Vier Grabmale verstorbener Männer zählte ich, dann folgte der Name einer Frau. Katharina Falkenhof, geboren im Frühjahr 1853, gestorben im November 1924. Ihr Strauß blühte unter der schlichten Inschrift »Danke«. Ich ging weiter. Agnes Falkenhof, 1873 geboren, im Kriegsjahr 1942 gestorben. Andere Blüten, aber erkennbar ein Blumenstrauß. Die Nächste, Katharina Wiesenbacher, starb 1966. Sie war meine Urgroßmutter, die ich nur aus Erzählungen meines Vaters und von alten Fotos kannte. Sie musste eine fröhliche Frau gewesen sein, die viel lachte und die erlebte Not der beiden Weltkriege hinter einer Menge Herzlichkeit versteckte. Ihr Strauß war fein ausgearbeitet. Meine Großmutter war jung gestorben. Sie hatte Kleinhaulmbach verlassen, um zu studieren. Jahre später verunglückte sie mit dem Wagen und hinterließ zwei Kinder, meinen Vater und Marion. Auf ihrem Grabstein waren keine Blüten.
Mein Vater hatte mir oft erzählt, wie sehr er die Enge des Dorfes gehasst hatte. Nach dem Tod seiner Eltern waren er und Marion zur Großmutter aufs Dorf geschickt worden. Für ihn gab es keine Alternative, als so schnell wie möglich das Weite zu suchen, nachdem er sein Abitur gemacht hatte und studieren konnte.
Marion war geblieben, hatte sich ihr Leben im Dorf eingerichtet.
Wo war ihr Grabstein? Ich hatte nicht zu ihrer Beerdigung kommen können, weil ich mit Björn auf Dienstreise gewesen war, als sie starb.
Marion. Die weibliche Linie. Die Aufgabe. Von Generation zu Generation weitergegeben. Marion war kinderlos geblieben und ich die einzige Tochter meines Vaters, ihres Bruders. Ich war Marions
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