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Kraut und Rübchen - Landkrimi

Kraut und Rübchen - Landkrimi

Titel: Kraut und Rübchen - Landkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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setzte mich damit auf das Sofa im Wohnzimmer.
    Ich saß da und beobachtete sein Sterben. Er tat sich schwer. Kämpfte um sein Leben, wollte nicht davon lassen. Der Speichel lief ihm aus dem Mund, er übergab sich und krampfte. Lange konnte es nicht mehr dauern. Schließlich fiel er in Ohnmacht, und sein jagendes Herz verebbte, schlug die letzten Schläge.
    Bevor er das Bewusstsein verlor, erkannte er mich und verstand. Reute er seine Taten? Es hatte keine Bedeutung, außer für sein Seelenheil.
    Ich beobachtete ihn und spürte keine Regung des Dauerns in mir. Keinen Stolz und keine Freude. Es geschah, weil es geschehen musste. Wie man einen räudigen Hund erschießt, einen tollwütigen Fuchs. Einen, der die anderen bedroht.
    Einen Tag vorher, dem Tag, an dem ich vom See zurückkehrte, hatte ich neben meinem Herd gesessen, in dem das Feuer brannte, und bedachtsam den Stößel geführt. Ihn gedreht und mit dem nötigen Druck die getrockneten Pflanzenteile zu Pulver zermahlen. Ich hatte sie sorgsam ausgewählt. Tränendes Herz und Maiglöckchen. Symbole für das neu erwachende Leben im Frühling, für Liebe, Unschuld und Hoffnung. Blüten wie Kinderseelen.
    Gregors Brust hob sich ein letztes Mal, dann war Angerl frei, und ihrem und anderen Kindern blieb großes Leid erspart. Ich stand auf, wusch ihm ein Lächeln auf das Gesicht, das den Kampf nicht verraten sollte. Räumte das Mahl fort. Ein Schrei drang aus der Kammer nebenan. Das Kind kam. Mit Wut und Willen drängte es ans Licht, als ob es auf diesen Moment gewartet hätte.
    Als ich den Hof verließ, hielt Angerl ihr Kind, einen Sohn, im Arm. Ein heißer Tag, der ein starkes Herz fällen konnte, ging zu Ende. Tod und Leben. Nah beieinander.

Echte Eibe , Taxus baccata  – ein immergrüner Nadelbaum, dessen Teile bei Verzehr starke Vergiftungen hervorrufen. Übelkeit, Koliken und Nierenschäden sind die Folge. Bei zunächst gesteigerter Atemfrequenz führen sie nach anderthalb bis vierundzwanzig Stunden zu Atem- und Kreislaufversagen und zum Tod im Koma.

Zehn
    Hilda hatte Gregor umgebracht. Sie hatte ihm eine Giftpflanzenmischung ins Essen gerührt und dabeigesessen, als er starb. Völlig ungerührt, ohne Mitleid. Was hatte sie geschrieben? »Wie man einen räudigen Hund erschießt.« Weil es notwendig war. Ich schob das Buch in die Mitte des Tisches, stand auf und ging zum Fenster.
    Der Hof lag ruhig da.
    Mila hatte, soweit ich es von hier erkennen konnte, ihre Gardinen zugezogen.
    Ich warf einen Blick über die Schulter auf das Tagebuch. Diese Frau war eine skrupellose Mörderin. Oder eine barmherzige Samariterin. Je nachdem, aus welcher Perspektive man die Sache betrachtete.
    Tante Marion hatte Mila gesagt, das Buch gehöre zur Familie und sei nicht für Fremde bestimmt.
    Ich fror. Mir war schlecht. Wie ein außenstehender Beobachter registrierte ich, dass mein Herz unregelmäßig schlug. Diesmal waren es keine Nachwehen des Alkohols.
    Familie. Ich durfte das Buch lesen, weil ich ein Teil der Familie war. Von Hildas Familie. Hilda war meine Vorfahrin. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper und versuchte, das Zittern in den Griff zu bekommen. Automatisch rief ich nach Herrn Hoppenstedt, wartete auf sein Antwortmiauen. Ihn zu kraulen beruhigte mich, half mir, meine Gedanken zu konzentrieren, mich zu sammeln. Aber er kam nicht.
    »Du hast alle Fenster, Schränke und Kellerräume doppelt und dreifach kontrolliert, Katharina«, murmelte ich leise. »Er hat sich nicht irgendwo verstiegen oder eingeklemmt. Er treibt sich sicher irgendwo draußen herum.«
    Ich machte mir trotzdem Sorgen, trat einen Schritt zurück und öffnete das Fenster. Kühle Luft strömte ins Zimmer.
    »Herr Hoppenstedt!«, rief ich laut und spähte in alle Ecken, die ich von hier aus erkennen konnte. Am besten würde ich draußen nach ihm suchen gehen. Ich drehte mich zur Tür und stoppte mitten in der Bewegung. »Das Tagebuch, Katharina. Lenk nicht ab.«
    Wenn Hilda meine Vorfahrin war, konnte ich es nicht ändern. Genauso wenig wie ich für das, was damals geschehen war, irgendeine Verantwortung übernehmen konnte. Mehr als hundert Jahre lagen zwischen dem, was geschehen war, und heute. Trotzdem konnte ich mich nicht überwinden, wieder zum Tisch zu gehen und weiterzulesen.
    Was bedeutete das alles? Die Atmosphäre des Hauses nahm mir den Atem.
    Ich wandte mich wieder dem frischen Luftstrom zu, atmete tief ein und zögerte kurz. Dann schloss ich das Fenster.
    Ich musste raus hier. Raus aus

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