Kraut und Rübchen - Landkrimi
auf. Es ging besser als vorhin. Meine Beine ließen mich nicht im Stich. Vorsichtig ging ich die Treppe hinunter und öffnete die Haustür. Mila kehrte vor ihrem Haus den Hof und hatte mir den Rücken zugewandt.
»Wovon habe ich keine Ahnung?« fragte ich, als ich sie erreicht hatte.
»Bitte?«
»›So ahnungslos, wie sie tut, kann sie doch unmöglich sein‹«, wiederholte ich ihre Worte von vorhin und drängte mich in ihren Flur. »Das hast du zu Alex gesagt. Ich will jetzt wissen, was los ist. Was ist mit dem Tagebuch? Wovon soll ich Ahnung haben? Was für eine Aufgabe ist es, von der ihr ständig alle faselt?«
Mila drehte sich um und ging zu ihrem Haus, durch den Hausflur in die Küche und machte sich an den Schränken zu schaffen. Wortlos nahm sie zwei Tassen, schaltete ihren Espressoautomaten ein und wartete, bis die Maschine bereit war. Dann legte sie eine bunte Kapsel ein, drückte auf einen Kopf und stellte den dampfenden Becher vor mir auf den Tisch.
»Setz dich, Katharina.«
»Ich stehe lieber.«
»Setz dich«, wiederholte sie und bereitete sich selbst ebenfalls einen Kaffee zu. »Milch?« Ohne meine Antwort abzuwarten, trat sie zum Kühlschrank. Kleine braune Wölkchen wallten auf, als sie die Milch eingoss. Ich holte tief Luft, rückte einen Stuhl zurecht und hockte mich auf die Kante. Bereit, jederzeit wieder aufzuspringen.
»Also?« Ich schob die Tasse von links nach rechts.
»Hast du das Tagebuch gelesen?«
»Ich bin dabei, das weißt du genau.«
»Bis wohin hast du es gelesen?« Sie verschränkte die Arme und stützte sich auf der Tischplatte ab.
»Du weißt, was alles drinsteht? Dann hast du mich also belogen.«
»Hat Marion jemals mit dir darüber gesprochen?«
»Nein, verdammt, das hat sie nicht. Wie oft soll ich das noch erklären? Sie hat mir nichts gesagt, mir kein Geheimnis offenbart und sich auch sonst in allem sehr zurückgehalten.«
»Du warst nicht da.«
»Scharf beobachtet. Ich war nicht da, weil ich mein eigenes Leben habe. Eines, das nichts mit diesem Dorf und nichts mit euch Verrückten hier zu tun hat.«
»Vielleicht war das der Grund, warum sie dir nichts gesagt hat.« Sie reckte das Kinn vor.
»Was?«
»Dass du nicht hierhergehörst. Nicht zu uns – wie sagtest du gleich?« Sie lachte höhnisch auf. »Zu uns Verrückten?« Sie ballte die Fäuste. »Aber das kann ja nicht sein. Sie hat mir das Buch nicht gegeben, weil es, wie sie sagte, zur Familie gehöre und nicht für Fremde bestimmt sei.« Sie schnaubte. »Fremde!« Sie kam auf mich zu und stemmte beide Fäuste auf den Tisch. »Dass ich nicht lache. Wenn hier einer fremd ist, dann ja wohl du! Wie oft bist du in den letzten zehn Jahren hier gewesen? Zweimal? Dreimal? Hast du dich um Marion gekümmert? Es ging ihr nämlich nicht immer so gut, wie sie gern vorgab. Wer ist denn mit ihr zum Arzt gefahren? Wer hat ihr geholfen, wenn sie sich mal wieder kräftemäßig überschätzt hatte? Wer ist mit ihr zu den Plätzen gegangen, an denen die besten Kräuter wachsen? Du? Wem hat sie alles beigebracht? Dir?« Sie schüttelte böse den Kopf. »Nein. Sicher nicht. Katharina Rübchen trieb sich lieber in der Weltgeschichte herum, als nur ab und an nach ihrer alten Tante zu sehen.«
Sie stieß sich ab und ging zum Fenster. Ihr Rücken bebte vor Zorn. »Aber ich bin die Fremde«, spie sie mir über ihre Schulter hinweg vor die Füße. » Ich darf die letzten Geheimnisse nicht kennen. Die sind natürlich dir vorbehalten«, höhnte sie.
»Trotzdem wolltest du es unbedingt wissen.«
»Ja.«
»Was steht drin?« Ich dachte an das, was ich bereits wusste. Hilda hatte Menschen getötet. Aus dem dringenden Bedürfnis, sich selbst und andere zu schützen. War das Mord? Oder Notwehr? War das Falsche aus den richtigen Motiven zu tun böse oder gut? Schwarz oder weiß? Was wusste ich noch nicht? Was erwartete mich?
»Ich habe es nicht ganz gelesen.« Mila beruhigte sich. Ihre Stimme wurde weicher, und der zornige Ton verschwand. »Vielleicht genug. Vielleicht auch nicht. Ich weiß es nicht. Lies es selbst. Und dann entscheide dich.«
Ich stand ohne ein Wort auf, verließ die Küche und ging in mein Haus zurück. Von Mila würde ich keine Antwort bekommen, die mich zufriedenstellte. Egal ob sie log, was ihr Wissen über den Inhalt des Buches anging, oder ob sie die Wahrheit sagte, wenn sie behauptete, nicht alles gelesen zu haben. Mit einem hatte sie recht. Ich musste es selbst lesen. Ich holte das Buch aus dem Schlafzimmer und
Weitere Kostenlose Bücher