Kraut und Rübchen - Landkrimi
und starrte auf meine Finger, an denen die Knöchel weiß hervortraten. »Setz es auf die Rechnung«, blaffte ich ihn an.
»Ich hatte gehofft, dass sich die Sache mit dem Hof, wenn wir erst zusammengezogen wären, ganz einfach würde regeln lassen.« Mit einer Geste umfasste er die Umgebung. »Wer hätte denn ahnen können, dass du dich hier so einnistest?« Er schnaubte und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Der Motor sprang an. »Und das alles nur wegen der blöden Katze.«
»Kater.«
»Wegen des blöden Katers.«
»Herr Hoppenstedt. Er heißt Herr Hoppenstedt«, sagte ich ruhig. Björn legte den Rückwärtsgang ein, gab Gas und wendete den Wagen. Ohne ein weiteres Wort fuhr er vom Hof. Ich versenkte meine Hände in den Hosentaschen. »So viel dazu.«
»Hattest du wirklich vor, mit ihm zusammenzuziehen?«, fragte Alex, ohne mich anzusehen.
»Es war im Gespräch.« Ich spürte den Kater um meine Beine streichen und hob ihn hoch. Alex kraulte ihn unter dem Kinn und erntete ekstatisches Schnurren zum Dank. »Herr Hoppenstedt mochte ihn nicht.«
Das Tagebuch lag auf der Anrichte, dort, wo ich es zuletzt abgelegt hatte.
Alex griff danach und wickelte die beiden Lederbändchen ab, schlug das Buch aber nicht auf.
»Darf ich?« Er wartete auf meine Antwort. Ich nickte. Er schlug eine Seite auf, las, blätterte weiter bis ins hintere Drittel des Buches. Dann stutzte er, blätterte zurück und noch weiter vor. Er steckte einen Finger zwischen zwei Seiten, suchte, klemmte einen weiteren Finger hinein. »Hast du das gesehen?«
»Was?«
»Hier.« Er drehte das Buch so, dass ich die Seiten erkennen konnte, und zeigte mir die beiden Stellen. Ich beugte mich vor.
»Die Handschrift verändert sich.« Ich griff nach dem Buch und blätterte hindurch. »Mehrfach. Es waren unterschiedliche Menschen, die über die Jahrzehnte an dem Buch geschrieben haben.«
Es fiel mir jetzt erst auf, wo ich genauer hinsah. Warum ich vorher nicht nachgeschaut hatte, wusste ich nicht. Vielleicht, weil ich bisher nur Seiten gelesen hatte, die von Hilda geschrieben worden waren? Weil ich es nicht erwartet hatte? Für mich war es ein altes Tagebuch, bei dem man nicht mit aktuellen Einträgen rechnet.
Ich sah ihn an, schlug das Buch zu und kurz vor dem Ende wieder auf. Dort erwartete mich das, von dem ich vermutet hatte, es zu finden: Marions Handschrift. Hastig notierte Rezepte. Zeichnungen, die an alte Kalligrafien erinnerten. Textabschnitte. Daten. Eines sprang mir ins Auge. Mein Geburtstag.
»Soll ich es laut lesen?«, bot ich Alex an.
Er nickte.
7. Februar 1980
Michael hat heute angerufen. Seine Tochter ist geboren. Er wird sie Katharina nennen, obwohl ich ihn nicht darum gebeten habe. Er hat es aus Familientradition getan. Ohne Hintergedanken. Es ist seltsam. Ich freue mich über die Geburt dieses kleinen Wesens und bin gleichzeitig traurig darüber, weil es mir wieder klarmacht, dass die Linie nicht durch meine eigene Tochter fortgesetzt werden wird.
Ich werde keine Kinder haben können. Nie. Das weiß ich seit Langem. Und ich hatte gedacht, über diesen Schmerz hinweggekommen zu sein. Wie man sich täuschen kann. Trotzdem freue ich mich über und vor allem auf Katharina. Sie wird mich besuchen kommen. Ich werde sie lieben, als ob sie mein eigenes kleines Mädchen wäre. Sie wird lernen. Ich werde ihr alles beibringen, was ich weiß – wenn sie es möchte. Und sie wird sich eines Tages entscheiden. Vielleicht will sie ja auch einen anderen Weg gehen? Wer weiß das schon? Sie wird nicht hier aufwachsen, warum sollte sie sich also verpflichtet fühlen? Vielleicht will sie lieber etwas anderes werden? Wenn es so ist, dann ist es so. Ich werde es nicht ändern. Weder können noch wollen. Irgendwann werde ich es wissen. Aber bis dahin ist noch viel Zeit. Jetzt sei erst einmal herzlich willkommen auf dieser Welt, kleine Katharina.
Bei den letzten Worten schlich sich ein Kloß in meine Kehle. Ich räusperte mich heiser. Von Marions ungewollter Kinderlosigkeit hatte ich nichts gewusst. In meiner Vorstellung als Kind gehörten zu einer Familie immer Vater und Mutter. Marion hatte halt keinen Mann und konnte deshalb auch keine Kinder haben. Später, als ich ein realistisches Familienbild mit allen möglichen Facetten und Möglichkeiten entwickelt hatte, fiel mir trotzdem nicht ein, es in Marions speziellem Fall zu hinterfragen. Marion war in dieser Rolle, in dieser Familienposition, eine feste Größe in meinem Leben. Wie sehr sie
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