Kreativ fotografieren
Ausgleich für mangelndes Können?
Leider haftet der Entwicklung von Bildern mit digitalen Werkzeugen in den Augen mancher ein negativer Ruf an. Oft scheint es den fragwürdigen Beigeschmack von Verfremdung und Manipulation zu haben. Digitaler Ausarbeitung wird nicht selten unterstellt, dass sie lediglich dazu diene mangelndes, fotografischen Können zukaschieren. Und das soll die Software zur Bildbearbeitung sogar quasi per Autopilot erledigen können. Know-how und Können – so lautet das landläufige Vorurteil – sei dazu folglich nicht mehr erforderlich. Jeder könne das.
Abb. 6.1 | Meine digitale Dunkelkammer
Tatsächlich ist genau das Gegenteil der Fall. Wer seine Fotos nicht eigenhändig per manueller Einstellung am Computer entwickelt, überlässt die Ausarbeitung den Automatikprogrammen in der Kamera.
Wenn Sie das JPEG -Format nutzen, ist das zwangsläufig der Fall. Die Software in Ihrer Kamera steuert Kontrast, Farbe, Schärfe, Rauschunterdrückung und die Komprimierung des Bildes. Letzteres ist im Falle von JPEG auch noch mit einem Verlust an Qualität verbunden. 1 Tatsache ist, dass nicht der, der seine Bilder am Computer entwickelt, seine Bilder per Knopfdruck manipuliert, sondern der, der in JPEG fotografiert und keine manuelle Entwicklung vornimmt. Der Knopf, der die Entwicklung in Gang setzt, ist der Auslöser. In JPEG fotografieren ist quasi die digitale Entsprechung analoger Polaroid-Fotografie 2 . Und die automatische Entwicklung ist nicht die einzige Analogie zwischen Polaroid und JPEG . Auch Farb- und Kontrastumfang sind bei Polaroids geringer als bei analogen Diaoder Negativfilmen. Ebenso bietet JPEG einen geringeren Farb- und Kontrastumfang als das RAW -Format.
Wer hingegen das digitale Negativ , als das man das RAW -Format auch bezeichnet, nutzt und seine Bilder am Computer eigenhändig ausarbeitet, nimmt Software gesteuerten Entwicklungsroutinen die Zügel aus Hand. Will man diese Zügel nutzen, um aus rohen Negativen das Maximum herauszuholen, kommt man um manuelle Einstellungen, die Know-how und Erfahrung erfordern, nicht herum. Anspruchsvolle Software zur professionellen Ausarbeitung von Digitalbildern ist nicht minder komplex als die Kamera selbst.
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Analoge Fotografie
Kontrastumfang
Natürlich bieten sowohl Programme für Gelegenheitsfotografen 3 als auch Software, die sich an Profis richtet, Funktionen, die ein Bild per Knopfdruck aufpimpen. Oft arbeiten diese Routen auch ausgezeichnet und führen zu Ergebnissen, die man gerne so stehen lässt. Doch gelegentlich liegen die Resultate mehr oder weniger weit daneben. Auch wenn man das eine oder andere automatische Hilfsmittel nutzt, um sich den Ausarbeitungsprozess zu erleichtern, istder kreative Eingriff des Fotografen so in das Ergebnis einzugreifen noch immer größer, als wenn man die Entwicklung zur Gänze der Kamera überlässt.
In meinen Augen hat die Bildentwicklung in der digitalen Dunkelkammer dasselbe Ansehen verdient wie die Entwicklung in der analogen. Ich kann sehr wohl verstehen, dass es vielen Fotografen Spaß macht analog mit Chemikalien in der Dunkelkammer zu entwickeln und sie die Herausforderung, das Letzte dabei heraus zu holen, lieben. Doch derselbe Respekt gebührt auch den Fotografen, die lieber mit der Maus am Computer entwickeln. Das Ziel ist hier wie dort dasselbe: Eben das Beste aus den Negativen herauszuholen und das Ergebnis eigenhändig kreativ zu gestalten.
Alles nur Manipulation?
Davon kann nicht die Rede sein. Tatsache ist, dass eine Aufnahme immer nur eine Interpretation des Motivs ist, das abgelichtet worden ist. Alleine schon die Wahl des Beschnitts über Sucher oder Display hat Einfluss auf die Bildaussage. In den Abbildungen 5.44 und 5.45 auf Seite 208 haben Sie gesehen, welchen Unterschied es machen kann, ob ein bisschen mehr oder weniger mit aufs Bild kommt.
Der Bildsensor einer Digitalkamera kann weder den vollen Farbnoch den vollen Kontrastumfang der Natur abbilden. Das führt zwangsläufig dazu, dass Sie oft gar nicht in der Lage sind, Motive so abzulichten, wie sie tatsächlich sind. Ich glaube, jeder, der schon ein paar Mal fotografiert hat, kennt die Erfahrung, dass manche Bilder bei Weitem nicht die Schönheit eines Motivs wiedergeben, die man vor Ort vor Augen hatte. Die zwangsläufige Manipulation des Motivs auf Grund physikalischer, optischer und technischer Grenzen hat in solchen Fällen dazu geführt, dass das Resultat nicht so aussieht wie die Vorlage.
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