Kreativ fotografieren
Maus am Computer entwickeln. Das Ziel ist hier wie dort dasselbe: Eben das Beste aus den Negativen herauszuholen und das Ergebnis eigenhändig kreativ zu gestalten.
Alles nur Manipulation?
Davon kann nicht die Rede sein. Tatsache ist, dass eine Aufnahme immer nur eine Interpretation des Motivs ist, das abgelichtet worden ist. Alleine schon die Wahl des Beschnitts über Sucher oder Display hat Einfluss auf die Bildaussage. In den Abbildungen 5.44 und 5.45 auf Seite 208 haben Sie gesehen, welchen Unterschied es machen kann, ob ein bisschen mehr oder weniger mit aufs Bild kommt.
Der Bildsensor einer Digitalkamera kann weder den vollen Farbnoch den vollen Kontrastumfang der Natur abbilden. Das führt zwangsläufig dazu, dass Sie oft gar nicht in der Lage sind, Motive so abzulichten, wie sie tatsächlich sind. Ich glaube, jeder, der schon ein paar Mal fotografiert hat, kennt die Erfahrung, dass manche Bilder bei Weitem nicht die Schönheit eines Motivs wiedergeben, die man vor Ort vor Augen hatte. Die zwangsläufige Manipulation des Motivs auf Grund physikalischer, optischer und technischer Grenzen hat in solchen Fällen dazu geführt, dass das Resultat nicht so aussieht wie die Vorlage.
Mein Ziel ist es Bilder, die eine Szene eben nicht so rüber bringen, wie ich sie vor Ort empfunden habe, in der digitalen Dunkelkammer dahin gehend zu entwickeln, dass sie die Stimmung meinen Empfindungen entsprechend wiedergebennicht so, wie die Kamera es auf Grund ihrer messtechnischen Fühler und auf Basis technischer und physikalischer Einschränkungen ›empfunden‹ hat.
Natürlich gehe ich bei der Ausarbeitung auch oft weit über eine realistische Wiedergabe hinaus. Der freie Umgang mit den Werkzeugen der Dunkelkammer – ganz egal ob analog oder digital – ist ein Mittel zur kreativen Gestaltung. Es ist der Schritt nach den vier Schritten. Da er nach der Aufnahme kommt, spricht man oft auch von Postproduktion. Doch erstens bildet jede kontrastreiche Scharzweißfotografie die Wirklichkeit auch nicht realitätskonformab, und zweitens geben kreativ manipulierte Bilder eine Stimmung oft richtiger wieder als eine völlig unbearbeitete Aufnahme.
Abb. 6.2 | Originalaufnahme
Abb. 6.3 | Meine Ausarbeitung
Abb. 6.4 | Original
Abb. 6.5 | Retuschiert
Die Aufnahme in 6.2 zeigt das unbearbeitete Foto eines Platzes in Funchal auf Madeira, kurz nach den schweren Unwettern von 2010. Abbildung 6.3 zeigt eine digital verfremdete Version der Aufnahme. Für mich gibt das verfremdete Bild die Stimmung vor Ort deutlich besser wieder als das nichts sagende Original.
Das heißt nicht, dass man unbedingt so weit gehen muss, die Realität zu verzerren. Abbildung 6.4 und 6.5 zeigen ein Vorher-Nachher-Beispiel aus meinem Workshop-Buch ›Adobe Photoshop CS5 – Schritt für Schritt zum perfekten Bild‹: Eine Retusche, wie sie heute in Fashion-, People- und Beauty-Fotografie gang und gäbe ist. In Marktkommunikation und Werbung sind solche Eingriffe heute eher die Regel, als die Ausnahme. Persönlich stehe ich solchen Eingriffen skeptisch gegenüber. 1 Wo man bei Entwicklung, Ausarbeitung und Retusche die Grenzen zieht, muss jeder für sich selbst entscheiden. Am Ende ist Bildbearbeitung nichts anderes als die Erweiterung des kreativen Wirkens.
Entwickelt wird ohnehin jedes Bild. Die Frage ist also nicht, ob es entwickelt werden soll oder nicht. Die Frage lautet: Möchte ich es selbst entwickeln, oder überlasse ich die Entwicklung der Elektronik einer Kamera ? Für mich ist die Antwort klar.
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Bildsensor
1 Der Verlust an Qualität durch die so genannte JPEG -Komprimierung sollte vom Kamerahersteller aber (hoffentlich) so moderat eingestellt sein, dass man ihn unter normalen Umständen nicht wahrnehmen kann.
2 Polaroid-Kameras waren in den 1970er und 80er Jahren sehr beliebt, denn sie spuckten nach dem Auslösen umgehend ein Foto aus, das sich in Sekunden vor den Augen des Fotografen selbst entwickelt hat.
3 Am Mac, wo ich selbst zuhause bin, ist vor allem iPhoto als solches bekannt.
1 Trotzdem waren sie natürlich Pflicht in einem Workshop-Buch über Photoshop. Der Leser erwartet das und hat in meinen Augen ein Recht darauf das Know-how dazu geliefert zu bekommen. Anhand eines solchen Beispiels lassen sich viele Techniken zeigen, die sich auch anders und moderater einsetzen lassen. Außerdem möchte ich meine Leser nicht entmündigen, indem ich ihnen vorenthalte, was ich selbst nicht einsetzen würde.
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