KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Zellteilung – die Mitose – getroffen.
Der kritische Punkt der Mitose
ist die gerechte Verteilung der genetischen Information auf beide Tochterzellen. Daher wird die DNA zu Beginn der Mitose in handliche Pakete von paarigen Chromosomen verpackt. Während des Teilungsvorgangs werden die Paare getrennt, und der Spindelapparat der Zelle ordnet jeweils 23 Chromosomen symmetrisch in den gegenüberliegenden Polen der Zelle an, bevor dann die endgültige Trennung erfolgt.
Dieser komplexe Prozess, der mit der Neusynthese der DNA beginnt und bei der Zellteilung endet, ist eine Achillesferse der Krebszellen. Die Vorgänge rund um die DNA-Replikation und die Zellteilung in Krebszellen unterscheiden sich nicht grundsätzlich von den Abläufen in gesunden Zellen. Was die Tumorzellen aber angreifbar macht, ist die Tatsache, dass sich Krebszellen rascher und öfter teilen als die meisten gesunden Zellen unseres Körpers. Aufgrund ihres höheren DNA-Umsatzes sind sie verletzlicher gegenüber Medikamenten, welche die DNA schädigen oder die Schritte der Zellteilung hemmen. Zunächst einmal beruht also der »schmale Spalt« auf rein quantitativen Unterschieden zwischen den bösen und den guten Zellen.
Bei manchen Krebserkrankungen können zusätzliche qualitative Unterschiede zwischen Krebszelle und gesunder Zelle den Chemotherapeutika das Leben leichter machen. Im 3. Kapitel habe ich erklärt, dass viele Tumoren genetische Veränderungen aufweisen, die zu Defekten der Systeme der DNA-Reparatur führen. Solche Zellen sind aufgrund ihrer reduzierten DNA-Reparaturkapazität anfälliger gegen DNA-schädigende Substanzen.
Trotzdem bleibt der Spalt schmal. In vielen Fällen gibt es Überschneidungen zwischen der Zellteilungsrate von Krebszellen und manchen Körperzellen. Alle Chemotherapeutika sind Zytostatika. Es handelt sich um Stoffe, welche die Zellteilung hemmen und die Vermehrung von Zellen unterbinden. Jedes klassische Chemotherapeutikum greift dabei in Vorgänge ein, die zur normalen Grundausstattung jeder teilungsfähigen Zelle gehören. Das erklärt, warum die Chemotherapeutika zu den nebenwirkungsträchtigsten Medikamentengehören, die wir kennen. Die Kollateralschäden treffen sämtliche gesunden Körperzellen, die ebenfalls hohe Zellteilungsraten aufweisen. Dazu gehören vor allem die blutbildenden Zellen, die Keimzellen, die Zellen der Haut und der Schleimhäute und auch die Zellen in den Haarwurzeln des Körpers.
Das erklärt die typischen Nebenwirkungen
von Chemotherapeutika. Praktisch jedes dieser Medikamente verursacht Blutbildveränderungen. Sie vermindern die Zahl der roten Blutkörperchen, der Blutplättchen und der weißen Blutkörperchen. Das kann zu Müdigkeit und eingeschränkter Belastbarkeit führen, zu einer erhöhten Blutungsneigung und zur Anfälligkeit für Infektionen durch Bakterien, Viren oder sogar Pilzen. 27 Viele Chemotherapeutika verursachen Verdauungsstörungen und Durchfall, Hautveränderungen, oder sie führen zu Haarausfall. Extrem empfindlich gegen Chemotherapeutika sind auch die sehr teilungsaktiven Keimzellen im Hoden und im Eierstock. Daher verursachen viele Chemotherapien vorübergehende oder auch dauerhafte Unfruchtbarkeit.
In der Krebstherapie sind heute weit über 50 verschiedene Chemotherapeutika in hunderten von Kombinationen im Einsatz. In manchen Fällen folgte der Weg, den diese Substanzen in die Klinken nahmen, dem geordneten Gang des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses. In der Mehrzahl der Fälle waren es aber krumme, gewundene Pfade, gepflastert von Abkürzungen und Zufällen. Wie und warum die einzelnen Medikamente wirken, stellte sich in dem einen oder anderen Fall erst heraus, nachdem der klinische Beweis ihrer Wirksamkeit bereits angetreten war.
Was aber bedeutet es, wenn wir sagen, ein Medikament sei »wirksam« gegen eine bestimmte Form von Krebs? Bevor ich im letzten Teil dieses Kapitels darüber spreche, wie weit uns dieser Typ von Medikamenten auf dem Weg zur Lösung des Krebsproblems vorangebracht hat, werfen wir einen Blick in die Apotheke der Onkologen.
Breitseite und Blutgrätsche: Alkylantien und DNA-Interkalation
Senfgas ist eine schreckliche Waffe – nicht nur weil sie quälende Beschwerden verursacht. Senfgas ist das Gegenteil von Selektivität. Getragen vom Wind breitet es sich diffus aus und tötet unterschiedslos alles, was ihm in die Quere kommt, Soldaten und Zivilisten, Freund und Feind, Mensch und Tier. Senfgas tötet jedes Individuum, welches
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