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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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akute Leukämie mochte Farber und seinen Zeitgenossen
wie die Hydra erscheinen, die sagenumwobene, riesenhafte lernäische Wasserschlange mit den neun Köpfen, die in den schwer zugänglichen Sümpfen von Lerna im Süden Griechenlands ihr Unwesen trieb. Niemand wagte es, sich mit der neunköpfigen lernäischen Hydra zu messen. Denn sie trug acht Köpfe, die zwar sterblich waren, die aber nachwuchsen, sobald einer von ihnen vom Rumpf getrennt wurde. Zudem sagte man dem neunten in der Mitte stehenden Kopf Unsterblichkeit nach. Sie zu erlegen war die vielleicht schwierigste von insgesamt zwölf Aufgaben, die der antike Sagenheld Herakles vollbringen musste. Herakles stellte die Schlange, packte sie, und begann ihr mit seiner Keule nach und nach die Köpfe zu zerschmettern. Trotz seiner übermenschlichen Kraft geriet er in Bedrängnis. Kaum hatte er einen der Köpfe der Hydra zerschlagen, wuchsen zwei neue nach. Sein Unterfangen schien hoffnungslos.
    Erst als Herakles Verstärkung in Gestalt seines Neffen Iolaos erhielt, wendete sich das Blatt. Sie griffen jetzt von zwei Seiten gleichzeitig an, und Iolaos bediente sich dabei einer zusätzlichen Waffe. Er hatte sich mit einer Fackelgerüstet und brannte jeden der enthaupteten Hälse aus, so dass keine neuen Köpfe mehr nachwachsen konnten. Auf diese Weise machten sie es dem Ungeheuer unmöglich, sich von den Verletzungen zu erholen und dadurch sogar noch an Gefährlichkeit zu gewinnen. Endlich schlug Herakles der Hydra auch das scheinbar unsterbliche Haupt ab. Er begrub es am Wege und wälzte einen schweren Fels darüber.
    Ähnlich simpel, brutal, aber effektiv
war auch die Antwort der Onkologen auf das Versagen der Chemotherapie der ersten Generation. Die Dosis der verabreichten Medikamente wurde bis an die äußerste Grenze des Machbaren gesteigert, um so viele Tumorzellen wie möglich auf einen Schlag zu vernichten. Außerdem wurde der Angriff aus mehreren Richtungen gleichzeitig geführt. Die dürre Sprache der Medizin kennt diese Strategie als Hochdosis-Polychemotherapie. Die amerikanischen Onkologen Emil Frei und Emil Freireich waren die Ersten, die im Jahr 1961 einen solchen Großangriff wagten. Die Mehrfach-Kombination, die sie einsetzten, trug bezeichnenderweise den Namen VAMP. Obwohl die Kombination dieser vier Buchstaben eigentlich nur ein harmloses Akronym für die vier verwendeten Medikamente sein sollte, schien der Name Programm. Wie ein Vampir sog VAMP den kleinen Patienten in den ersten Wochen die Lebensgeister aus dem Leib. Emil Freireich selbst erinnert sich: »Wir begannen die Therapie, und nach einer Woche waren die Kinder fürchterlich, fürchterlich krank. Den meisten ging es schlechter als zu Beginn der Behandlung. Es war ein Desaster …« 45
    Dieser erste Versuch einer hochdosierten Polychemotherapie
war ein Vabanque-Spiel mit ungewissem Ausgang, das immer am Rand einer Katastrophe entlangschlitterte. Die Kombination war zwar wirksam, aber sie war so toxisch, dass ständig die Gefahr bestand, die Kinder durch die Therapie umzubringen.
    Glücklicherweise besserte sich der Zustand der meisten Kinder nach einigen Wochen. Der erste vorsichtige Blick durch das Mikroskop belohnte die Mühen dann mit einem erstaunlichen Bild. Weder im Blut noch im Knochenmark war bei der Mehrzahl der Kinder auch nur eine einzige Krebszelle mehr erkennbar. Es folgten Monate des Wartens. Aber Mitte der sechziger Jahre begann sich abzuzeichnen, dass der Erfolg diesmal von Dauer war. Die Leukämie blieb geschlagen.
    VAMP ist längst nicht mehr das Maß der Dinge in der Behandlung von Leukämien. Seit den sechziger Jahren haben die Kinderonkologen viel dazugelernt. 46 Kaum 30 Jahre nach den ersten Gehversuchen der Chemotherapie war Farbers Traum in großen Teilen Wirklichkeit geworden. Die akute Leukämie von Kindern war zu einer heilbaren Erkrankung geworden. Sie wird inzwischen nicht mehr mit einem einzigen Medikament, sondern mit wechselnden Kombinationen von mehr als einem halben Dutzend unterschiedlicher Zytostatika behandelt. Der gleichzeitige Einsatz mehrerer Medikamente soll das Risiko primärer Resistenzen minimieren und verhindern, dass Krebszellen durch die Maschen schlüpfen, weil sie sich gerade in einer Phase des Zellzyklus befinden, in der sie für das eine oder andere Medikament unempfindlich sind.
    Es stellte sich auch heraus,
dass viele Wiederholungen und Modifikationen der Prozedur nötig sind, um auch noch die letzte Krebszelle mit möglichst hoher

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