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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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und E-Mails. Mit Hilfe einiger Kollegen hatte ich mich bis in die Vorstandsetage der deutschen Sektion des Konzerns durchgearbeitet und war auf Verständnis und die Zusage auf Unterstützung gestoßen.
    Wenige Tage später folgte die Enttäuschung. Das letzte Wort hatte der Mutterkonzern und der sagte definitiv: No!
    Viele Pharmakonzerne fürchten die Praxis des compassionate use wie der Teufel das Weihwasser. Leider musste der Onkologe in mir zugeben, dass sie dafür unter Umständen sogar gute Gründe haben. Eine vielversprechende Substanz ist noch kein gutes Medikament. Es ist work in progress . Der endgültige Nachweis der Wirksamkeit ist noch nicht mit der Sicherheit erbracht, die wir Ärzte üblicherweise fordern, bevor eine neue Therapie in die klinische Routine integriert und zur Standardtherapie wird. Je weiter außerdem die Praxis der vorläufigen »Freigabe aus Mitgefühl« Verbreitung findet, desto weniger Patienten werden bereit sein, an den entsprechenden randomisierten Studien 8 teilzunehmen, die die Wirksamkeit des Medikament ja erst definitiv beweisen sollen. Als Teilnehmer an einer solchen Studie haben die Patienten schließlich nur eine 50:50-Chance, das ersehnte Medikament auch tatsächlich zu erhalten. Es besteht die Gefahr, dass sich die Katze auf diese Weise in ihren eigenen Schwanz verbeißt. Darüber hinaus können experimentelle Therapien auch Risiken bergen, die nur aufgrund der noch geringen Anzahl der bis dato behandelten Patienten noch nicht zu Tage getreten sind.
    Trotzdem konnte ich mich mit dem Veto zunächst nicht abfinden und haderte tagelang mit der Entscheidung und mit den zwei Seelen, die in meiner Brust wohnten.
    Derweil lief uns die Zeit davon. Es war schließlich Imogen, die den Knoten zerschlug und mich wieder auf den Boden zurückholte: »Martin, du weißt,auch wenn das Zeug gut sein mag, es ist keine Wunderdroge. Es wird mir mein altes Leben nicht zurückbringen.«
    Imogen hatte recht: Die nackten Zahlen waren kaum geeignet, Traumschlösser wachsen zu lassen. Statistisch betrachtet verlängerte die Zugabe der Substanz zu einer konventionellen Chemotherapie das Stillhalteabkommen mit dem Krebs 9 durchschnittlich von 3,6 auf 6 Monate. Am Tag darauf saß Imogen vor mir auf einem Sessel in unserer Tagesklinik, und ich stach ihr die Nadel in die Vene, über die in den nächsten Stunden der erste Kurs einer Zweifach-Kombination konventioneller Zytostatika in ihren Körper laufen sollte – ohne die neue »Wunderdroge«.
    Was aber war an diesem Stoff so Besonderes, dass er selbst mein professionell verbildetes Hirn verleitete, sich für Tage in Träumereien zu verspinnen? Es waren nicht die nackten Zahlen der Statistik, der großen Gleichmacherin, die mich beeindruckten. Es war etwas anderes an diesem Medikament, das damals den prosaischen Namen BSI-201 trug, was mich gefangen nahm. Seine Wirkung beruhte auf einem vollkommen neuen Prinzip. Es führt eben nicht den ebenso brutalen wie letzten Endes meist vergeblichen Frontalangriff auf den Apparat der Zellteilung, den die Krebszellen mit den meisten andern Zellen des Körpers gemein haben.
    Diese Substanz nahm gezielt einen ganz speziellen Gendefekt ins Visier, den die Tumorzellen mancher Frauen mit dem »triple-negativen« Brustkrebs akquiriert haben. Es war der Traum, dass es innerhalb der großen Gruppe der Patientinnen einzelne Frauen geben könnte, denen gerade diese Form der Therapie auf den Leib geschneidert sein könnte und die daher dem ebenso unbarmherzigen wie unbestechlichen Diktum der Statistik entgehen würden. Es war der Traum von einer ganz neuen Form der maßgeschneiderten und zielgerichteten medikamentösen Krebstherapie.
    • • •
    Alle konventionellen Krebsmedikamente nehmen den komplexen Apparat ins Visier, der die Teilung der Zellen vorbereitet und steuert. 10 Ich habe schon erklärt, dass Zellteilung ein Kennzeichen fast aller lebenden Zellen ist, so dass Kollateralschäden an gesunden Zellen unvermeidlich und der Verschreibung dieser Medikamente enge Grenzen gesetzt sind.
    Wäre es nicht eleganter, das Übel direkt an seiner Wurzel zu packen? Wirhaben in den ersten Kapiteln gesehen, dass die Verwandlung einer gesunden Zelle zur Krebszelle durch kritische Mutationen in zwei Klassen von Genen ausgelöst wird. Diese Mutationen lockern die Bremsen der Zellteilungsmaschine und treten gleichzeitig das Gaspedal des Zellzyklus voll durch. Was läge also näher, als die defekten Gene selbst einfach wieder zu

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