KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
reparieren? Reden wir von Science Fiction, oder ist so etwas denkbar? Tatsächlich hat die molekulare Genetik in den letzten 30 Jahren mehrere Techniken entwickelt, die uns gestatten, den großen Text des Lebens nicht nur zu lesen, sondern auch gezielt umzuschreiben. 11 Wir können einzelne Gene in einer Zelle ausschalten, und wir können auch völlig neue, sogar fremde Gene in das Genom einbauen. Diese Strategie hat aber mehrere gewaltige Haken. Die Vehikel, die genetisches Material in eine Zelle transportieren, sind viel zu unzuverlässig, um alle Krebszellen zu erreichen.
Keine der heute gebräuchlichen Techniken zur Transfektion von genetischem Material ist in der Lage, in einem ausgewachsenen Organismus gezielt die komplette Population von vielen Millionen oder gar Milliarden Krebszellen zu transfizieren, ohne auch nur eine einzige Krebszelle auszulassen. Damit nicht genug der Probleme. Vermutlich reicht zwar eine Handvoll Mutationen in kritischen Schlüsselgenen aus, um eine Zelle auf die schiefe Bahn zu bringen. Wir wissen aber, dass ein Tumor im Laufe seiner Karriere immer mehr zusätzliche Mutationen anhäuft. 12 Die Zellen einer Leukämie weisen oft 15 bis 20, die von soliden Tumoren manchmal sogar zwischen 50 und 100 verschiedene Genmutationen auf. Bisher haben wir aber keine Ahnung, welche dieser vielen Veränderungen für den Tumor tatsächlich überlebenswichtig sind und welche Gene daher repariert werden müssten.
Die Gentherapie im klassischen Sinn
ersetzt ein defektes Gen durch ein gesundes. Sie wird daher vor allem bei Erbkrankheiten erprobt, die durch den Ausfall eines bestimmten, einzelnen Gens verursacht werden. Ich selbst bin überzeugt, dass zumindest diese Form der Gentherapie nie eine realistische Option auf eine erfolgreiche Krebstherapie darstellen wird. Ich würde mich freuen, wenn mich die Zukunft Lügen straft. Trotzdem sollten wir uns auf der Suche nach einer magischen Kugel, die ausschließlich auf die kranken Zellen eines Organismus abzielt, an anderer Stelle umsehen. Wenn schon die Krebsgene selbst sich der gezielten Manipulation entziehen, so birgt vielleicht der Blick auf ihre Produkte eine Chance, den heiligen Gral der Krebstherapie zu finden.
Der magische Schrotschuss
Wenn einzelne Krebszellen der magischen Kugel entkommen, dann brauchen wir vielleicht einen magischen Schrotschuss. Da jeder gestandene Waidmann weiß, dass ein zielgenauer Schrotschuss ein Widerspruch in sich ist, muss das Schrot magisch sein. Jedes einzelne Schrotkügelchen muss, wie von Geisterhand geführt, präzise an sein vorbestimmtes Ziel finden. Selbst wenn uns ein gütiger Magier mit solchem Zauberschrot ausstatten würde, müssten wir die relevanten Ziele kennen. Bis in die jüngste Zeit lag es weit jenseits jeder Vorstellungskraft,das komplette Genom von Krebszellen einzelner Patienten auf relevante Fehler zu durchsuchen, um daran die Therapie auszurichten.
In der Öffentlichkeit wird meist die Computerbranche
als Inbegriff des rasanten technologischen Fortschritts betrachtet – nicht ganz zu Recht. Angeblich hat sich Bill Gates vor etwas mehr als zehn Jahren auf einer Computerfachmesse zu einem bildhaften Vergleich hinreißen lassen, um die Innovationskraft seiner Branche zu verdeutlichen. Er stellte fest: »Wenn General Motors mit der Technologie so mitgehalten hätte wie die Computerindustrie, dann würden wir heute alle 25-Dollar-Autos fahren, die mit einer Gallone Sprit 1000 Meilen weit kommen.« 45
Gates hat nicht übertrieben. Das Mooresche Gesetz besagt, dass sich die Rechnerleistung seit 1980 alle anderthalb bis zwei Jahre verdoppelt hat. Auch wenn im Vergleich dazu der Fortschritt in der Krebstherapie eine Schnecke war – die analytischen Möglichkeiten der Biotechnologie brauchen sich hinter der Computerbranche nicht zu verstecken – im Gegenteil. In den Jahren zwischen 1980 und 2004 hat sich, vom breiten Publikum kaum bemerkt, die Geschwindigkeit der DNA-Sequenzierung ähnlich rasant entwickelt wie die Leistung von Computern.
Gegen das, was sich in der Biotechnologie allerdings in den acht Jahren danach abgespielt hat, bleibt auch eine optimistische Betrachtung der Fortschritte in der Rechenleistung von Computern weit zurück. Zwischen 2004 und 2012 hat sich die Geschwindigkeit beim Lesen genetischer Texte nicht etwa verfünfzig- oder verhundertfacht, sondern sie ist etwa eine Million Mal schneller geworden. 46
Im Oktober 1990 wurde in den
USA das gewaltige Human Genome Project aus
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