KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
auf Technologie von Menschenhand setzen, sondern versuchen, dem Krebs einen Gegner gegenüberzustellen, der von der Evolution mit derselben Plastizität und Flexibilität ausgestattet wurde. Wieso sollten wir nicht der Natur selbst einen Teil der Arbeit überlassen? Damit wären wir bei der zweiten Variante einer konkreten Utopie der Krebsbehandlung angelangt.
Fazit – trügerische Alternativen, Modus Vivendi und Warten auf den großen Wurf
Auch wenn die drei großen Säulen der konventionellen Krebstherapie – Chirurgie, Strahlentherapie und Chemotherapie – in den letzten Jahrzehnten Bodengewinne erzielt haben, ihr Expansionsdrang wird immer an eine Mauer stoßen. Diese Mauer scheint mit den bisherigen Mitteln der Onkologie unüberwindbar. Fast alle häufigen Krebserkrankungen sind nicht mehr heilbar, sobald sie den Rubikon zur Metastasierung überschritten haben.
Was uns in solchen Situationen bleibt, sind Träume. Die Träume der ersten Art, die trügerischen Alternativen, sind Wolkenkuckucksheime. Auch sie sind schön, manchmal sogar wichtig und hilfreich, solange sie nicht für etwas gehaltenwerden, was sie nicht sind. Sie sind keine alternativen Krebstherapien. Sie können manchmal das Leben mit dem Krebs erträglicher gestalten. Wenn sie als echte therapeutische Alternative gegen den Krebs missdeutet werden, können sie schädlich und sogar gefährlich werden.
Auch die Träume der zweiten Art liefern (noch) keine einlösbaren Versprechen. Aber sie sind konkrete Utopien. Es ist die ureigenste Aufgabe von Wissenschaftlern – und der schönste Aspekt ihres Jobs –, solche Träume zu träumen und stets neue zu erfinden. Morgens, nachdem der Wecker geläutet hat, müssen sie in ihre Labors zurück, um ihre Traumgeschichten nach dem entscheidenden Fünkchen Realität zu durchforsten. Wer Träume dieser Art mitträumen will, muss den Blick hinter die Kulissen riskieren.
Das war der Grund,
warum ich dieses Kapitel geschrieben habe. Imogen hörte diese Geschichten gern, auch wenn sie mich ab und an bremsen musste, mich nicht zu sehr in Details zu verheddern. Die individualisierte Form der Krebstherapie mit Medikamenten, die zielgenau auf die Gendefekte der Krebszellen ausgerichtet sind, und die Immuntherapie stellen nur zwei der zahllose blauen Phantasieblumen im Traumgarten der Wissenschaft dar. Aber diese beiden Blumen haben bereits eine Saat abgeworfen, die im Humus der Realität wurzelt. Bisher keimen nur erste zarte Pflänzchen der Hoffnung. Sie alle wachsen noch jenseits der Mauer, die von hieraus unüberwindlich scheint. Hemmstoffe von Tyrosinkinasen wie das Glivec haben die Behandlung zweier seltener Krebserkrankungen 83 revolutioniert.
Andere wie das Tarceva schenken Menschen wie Christoph Schlingensief ein wenig mehr Lebenszeit. Antikörper wurden Teil der Standardtherapie bei manchen Formen von Lymphdrüsenkrebs, beim Her2/Neu-positiven Brustkrebs und bei Darmtumoren ebenso eingesetzt wie in Kombination mit Bestrahlung oder Chemotherapie bei Karzinomen der Rachenregion. Meistens ergänzen sie die althergebrachten Therapieformen, verdrängen diese aber nicht.
Die Tumorimmunologie hat bereits Einfluss auf die Praxis der Transplantation von Knochenmark oder von Blut-Stammzellen gewonnen. In vielen großen Kliniken der Welt laufen Studien mit dem Ziel, das Immunsystem mit Hilfe von Impfungen beim Kampf gegen den Krebs zu unterstützen. Diese Entwicklungen haben bei manchen Krebserkrankungen zu echten, allerdings graduellen, manchmal auch nur marginalen Verbesserungen des Status quo geführt. Einige dieser Therapien verändern aber den Charakter der Erkrankungund verwandeln sie von einer akuten tödlichen Bedrohung in eine chronische, wenn auch unheilbare Krankheit.
Auf den großen Wurf warten wir noch. Die Menschen, die heute schon an Krebs erkrankt sind und denen die Medizin keine Aussicht auf Heilung bieten kann, erwartet eine fast übermenschliche Aufgabe. Sie müssen versuchen, mit der Krankheit einen Modus Vivendi zu finden, damit ihnen der Krebs nicht schon vor dem Tod das Leben raubt. Davon wird im letzten Kapitel die Rede sein.
11. Kapitel
Dichtung und Wahrheit – Gibt es Spontanheilungen?
Montag, 11. Januar 2010
I mogen machte auf dem Absatz kehrt. »Moment, ich hab’ noch was vergessen.« Sie hastete zurück, die 90 Stufen durch unseren Garten zur Wohnung hinauf, um mit einem kleinen roten Köfferchen zurückzukehren. Ich kannte diesen Koffer bereits, und ich liebte ihn. Es war der
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