KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Lungenkrebs, insbesondere bei den rasch wachsenden kleinzelligen Bronchialkarzinomen, bei bösartigen Hirntumoren wie der Glioblastoma multiforme oder bei der anaplastische Variante des Schilddrüsenkrebses. Leidersollte auch Imogens Form von Brustkrebs eher zu dieser zweiten Kategorie von Krebserkrankungen gehören.
Ganz gleich, welche Art von Krebs
sich ins Leben stiehlt, eines passiert gewiss: Diese Krankheit erschüttert das trügerische Gefühl von Planbarkeit, das sich im Leben der meisten von uns eingenistet hat. Je nach Naturell kommen die Betroffenen mit diesem emotionalen Erdbeben unterschiedlich gut zurecht. Im Allgemeinen tun sich Menschen mit solchen Verwerfungen leichter, die gelernt haben, die Unsicherheit in ihr Lebensgefühl zu integrieren; sie sind vielleicht fähig und sogar bereit, dem Nebel über der Zukunft gute Seiten abzugewinnen. Solche Menschen sind es eher gewohnt, Ad-hoc-Strategien zu entwickeln und sich an wechselnde Probleme anzupassen.
In der ohnehin tristen Landschaft deutscher Fernsehunterhaltung gibt es ein Genre, das mich jedes Mal reflexartig den Stecker ziehen lässt. Ich meine die Fernsehserien über Ärzte oder Krankenhäuser. Einer der vielen Gründe für meine Abneigung gegen diese Art der Unterhaltung ist ihr fataler Hang zum Klischee – und Kitsch. Einer der abgegriffensten Sätze, die solche Filmchen zu bieten haben, ist die Frage: »Herr Doktor, wie lange habe ich noch?« Abgesehen davon, dass mir selbst diese Frage im Laufe meines Berufslebens fast nie gestellt wurde, dürfte sie kaum zu beantworten sein.
Eine nummerische Antwort auf diese Frage gerät meistens zur Falle. Ärzte arbeiten mit statistischen Überlebenszeiten, um die Wirksamkeit verschiedener Therapieformen untereinander zu vergleichen. Dazu taugen solche Zahlen. Aber sie sind mathematische Abstraktionen, die in die Irre führen, wenn sie auf den Einzelfall angewendet werden.
Nehmen wir eine Gruppe von zehn Patienten mit einer bestimmten Krankheit, von der wir und die Betroffenen selbst wissen, dass sie im Durchschnitt noch ein Jahr leben. Tatsächlich wäre es denkbar, dass diese zehn Menschen 350, 352, 354, 355, 364, 368, 373, 376, 378 und 380 Tage nach der Prognose sterben. Unter solchen Umständen käme die Angabe der mittleren statistischen Lebenserwartung der tatsächlichen Prognose für jeden Einzelnen so nahe, dass ihre Angabe auch aus der Perspektive des einzelnen Betroffenen einen gewissen Sinn macht.
Die Realität sieht allerdings vollkommen anders aus.
Eine mittlere statistische Lebenserwartung von einem Jahr kommt auch dann zustande, wenn dieselben zehn Patienten nach 10, 33, 54, 78, 110, 235, 365, 561, 860 und 1344 Tage sterben. Und dieses Szenario kommt der Wirklichkeit deutlich näher.Bezogen auf den Einzelfall entspricht in diesem Fall der Satz: »Sie haben noch ein Jahr zu leben«, nur noch bei einem der zehn Patienten der Wahrheit, auch wenn die mittlere statistische Lebenserwartung der Gruppe natürlich immer noch ein Jahr beträgt. Bei zwei weiteren Patienten liegt die Prognose um immerhin 50 Prozent daneben. Bei allen anderen versagt sie völlig. Schon aus diesem Grund sollte jeder Arzt mit Prognosen hinsichtlich der Lebenserwartung eines Patienten äußerst vorsichtig umgehen. Denn der Patient kann kaum anders, als eine solche Zahl misszuverstehen. Ein solches Missverständnis kann fatale Folgen haben, weil es den Keim zu einem Leben im Gefühl permanent zerrinnender Zeit sät. Unter dem Menetekel der tickenden Zeitbombe zerfällt dann auch die erlebte Zeit zu kaum mehr als wertlosem Staub.
Nicht nur die Unsicherheit über den tatsächlichen Verlauf der Erkrankung, auch die individuellen Besonderheiten der einzelnen Krebsformen und die verschiedenen Verteilungsmuster der Krankheitsherde im Körper stellen die Palliativmedizin vor ein breites Spektrum unterschiedlichster Probleme. 5
Palliativmedizin wird oft mit Schmerztherapie assoziiert.
Tatsächlich gehören chronische Schmerzen zu den häufigsten Problemen, mit denen Krebspatienten kämpfen. Schmerzen lassen sich aber mehr als manche anderen medizinischen Probleme wirksam behandeln. Die Palette wirksamer Schmerzmedikamente ist breit, und es gibt inzwischen viele Möglichkeiten, eine Schmerztherapie auf die individuellen Bedürfnisse eines Patienten zuzuschneiden. Obwohl wir über viele Medikamente verfügen, und jeder Arzt die Stufenschemata der Schmerztherapie kennt, liegt die Schmerzbehandlung chronisch Krebskranker in
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