KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
Deutschland noch immer im Argen; sie könnte wesentlich besser sein.
»Ohne Morphium möchte ich kein Arzt sein.« Dieser Satz stammt von Albert Schweitzer. Tatsächlich sind stark wirksame Schmerzmittel wie Morphium, ein Medikament aus der großen Familie der Opiate, eine ganz zentrale Säule der Palliativbehandlung von Krebspatienten. Trotzdem werden solche Schmerzmittel leider oft zu spät, zu unregelmäßig, zu gering dosiert oder in ungeeigneten Kombinationen verabreicht. Selbst unter Ärzten scheint es noch leider nach wie vor noch unbegründete Vorbehalte dagegen zu geben, Morphium und seine Anverwandten einzusetzen. 6
Tumorschmerzen sind kein gottgegebenes Schicksal. Oft reicht das reine Lehrbuchwissen nicht aus, um eine Schmerzbehandlung so anzupassen, dass sie wirksam ist und die gewonnene Lebensqualität nicht gleichzeitig wiederdurch die Nebenwirkungen der Medikamente aufgefressen wird. Zögern Sie also nicht, sich zusätzlichen Rat bei schmerztherapeutisch weitergebildeten Internisten, Onkologen, Palliativmedizinern oder Narkoseärzten zu holen. Die durch Knochenmetastasen verursachten Schmerzen können über die Strahlentherapie hinaus nachhaltig und spürbar gelindert werden.
Andere medizinische Probleme chronisch Krebskranker sind oft widerspenstiger als die Schmerzen. Das Spektrum möglicher Beschwerden und Symptome ist groß. 7 Chronische Müdigkeit (Fatigue), Luftnot, unstillbarer Husten, Appetitlosigkeit und Übelkeit, Erbrechen, Schluckauf, Durchfall, Verstopfung, Juckreiz, anhaltendes oder nachlaufendes Bauchwasser oder Ergüsse im Rippfellspalt gehören zu den Schwierigkeiten, mit denen Krebskranke zu kämpfen haben. Hinzu können neurologische, neuropsychologische und selbst psychiatrische Probleme wie Angst, Verwirrung, Depression, Lethargie, Ruhe- oder Schlaflosigkeit kommen.
Es spricht sehr vieles dafür,
dass ein Arzt die Federführung bei der Betreuung eines Krebskranken übernehmen sollte. Ein guter Arzt zeichnet sich dadurch aus, seine Grenzen zu kennen. Er zögert nicht, Spezialisten anderer Fachgebiete hinzuzuziehen, wenn Probleme auftauchen, die außerhalb seines eigenen Spezialgebiets liegen. Ich bin den beiden Lungenspezialisten der Tübinger Universitätsklinik heute noch sehr dankbar dafür, dass sie zu fast jeder Tages- und Nachtzeit bereitstanden, um die Flüssigkeit in Imogens Rippfellspalt zu drainieren, wenn wieder einmal quälende Beschwerden auftauchten.
Die Palliativmedizin muss sich der kompletten Palette medizinischer Behandlungsverfahren und Praktiken einschließlich Chemotherapie, 8 Strahlentherapie und sogar der Chirurgie bedienen können. Darüber hinaus gibt es fast kein Medikament, das unter palliativen Aspekten nicht schon bei Krebspatienten zum Einsatz gekommen wäre. Palliativmedizin bedeutet aber auch die Sicherstellung ausreichender Ernährung, die Versorgung mit Flüssigkeit, das Training des kranken Körpers, Bewegungs- und Physiotherapie und vieles andere mehr. Dem Einsatz medizinischer Verfahren sind keine Grenzen gesetzt. Entscheidend ist allerdings, nie den Zweck der Übung aus den Augen zu verlieren. Palliativmedizin ist kein Kampf gegen den Krebs, sie ist ein Kampf für den Patienten. Ihr einziges Erfolgskriterium ist die Verbesserung der Qualität eines Lebens mit dem Krebs.
Vom Umgang mit dem ungebetenen Dritten
Die Palliativmedizin ist wichtig für Menschen mit chronischen Krebserkrankungen. Sie ist der Beitrag, den die Medizin leisten muss, um das Leben mit dem Krebs erträglicher zu machen. Darüber hinaus sind mentale Strategien notwendig, um mit dem ungebetenen Gast zurechtzukommen und um das Leben mit der Krankheit erfolgreich zu »bewältigen«. Auch der souveräne Umgang mit der Krankheit wird nie den mentalen Zustand vor dem Ausbruch der Krankheit wieder herstellen können. Vielleicht ist das auch gar nicht erstrebenswert. Darüber hinaus sind die Menschen, ihre Krankheitsgeschichten und ihr individuelles soziales Gefüge derart unterschiedlich, dass es unmöglich ist, ein allgemein verbindliches Regelwerk für ein Leben mit dem Krebs aufzustellen.
Meiner Meinung nach gibt es Grundfragen, die aus dem Ausnahmezustand entstehen und sich irgendwann in das Leben von fast jedem unheilbar am Krebs erkrankten Menschen einschleichen. Auch wenn Antworten auf solche Fragen in keinem Lehrbuch zu finden sind, kann es hilfreich sein, sich zumindest die Fragen einmal bewusst zu machen.
Warum gerade ich?
Dieses Buch setzt mit einer Szene ein, 9
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