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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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könnte. 59
    Madame Z. war an Brustkrebs erkrankt, und der Blick auf ihren Familienstammbaum zeigt, dass die meisten ihrer weiblichen Nachkommen ihr Schicksal teilten.
    Abbildung 1: Der Stammbaum der »Madame Z.« 60
    Ein anderes Beispiel einer Krebsfamilie
betrifft eine der prominentesten Familien des 19. Jahrhunderts. Die Todesursache des vielleicht meist gehassten und zugleich meist umjubelten Mannes des 19. Jahrhunderts ist – wie sollte es auch anders sein – Gegenstand unzähliger Gerüchte. Napoleon Bonaparte, der sich fast ganz Europa unterworfen hatte, starb einsam, am 5. Mai des Jahres 1821, mit nur 51 Jahren im Exil auf St. Helena, einer Insel im stürmischen Südatlantik. Um die Todesursache ranken sich viele Gerüchte, denn sie war ein Politikum. Schon bei der Obduktion gab es heftige Kontroversen zwischen den beteiligten pro-britischen und pro-französischen Ärzten. Am Ende lagen fünf verschiedene Obduktionsberichte vor. Einige Franzosen vermuten bis heute, dass Napoleon von den heimtückischen Briten vergiftet wurde. Die Briten favorisierten Krebs, was schicksalhaft genug schien, um nicht dem britischen Empire angekreidet zu werden. In Wahrheit starb Bonaparte wohl an einer Leberinfektion. 61 Napoleons Familiengeschichte spielte allerdings den Briten in die Hände. Denn es gab im Leben Bonapartes etwas, das er mindestens genauso fürchtete wie den russischen Winter oder die englische Flotte: den Magenkrebs. 62 Sein Vater, vermutlich auch sein Großvater und mindestens zwei, möglicherweise sogar vier seiner sieben Geschwister starben an dieser grausamen Krankheit. 63 Möglicherweise litt auch Napoleon an Magenkrebs, obwohl er letztendlich wohl einer Amöbeninfektion zum Opfer fiel.
    Wie kann man diese merkwürdigen Häufungen von Krebserkrankungen in bestimmten Familien erklären? Sind sie tatsächlich das Resultat Mendelscher Erbgänge? Familien teilen nicht nur ihre Erbsubstanz, sondern meistens auch ihre Gewohnheiten, ihre Umwelt, ihre Nahrung, schlichtweg alle ihre Lebensumstände. Diese gemeinsamen Lebensumstände liefern allerdings keine vernünftige Begründung für die erstaunliche Häufung relativ seltener Krebserkrankungen in bestimmten Familien. Das Krebsrisiko bleibt oft auch überGenerationen, obwohl die Umwelt sich inzwischen dramatisch verändert hat, mehr oder weniger konstant. Und es trifft auch Verwandte, die räumlich weit voneinander getrennt aufwachsen.
    Die frühesten wissenschaftlich belastbaren Hinweise darauf, dass ein erhöhtes Erkrankungsrisiko erblich sein kann, stammen aus epidemiologischen Studien aus der Zeit zwischen 1940 und 1960. 64 Mittlerweile sind tatsächlich einige Krebserkrankungen bekannt, die den Mendelschen Erbgängen folgen.
    Der Leidener Anatom Pieter Paus, genannt Petrus Parwis, beschrieb schon 1597 in Observationes Anatomicae Selectiores im Kapitel »Tumor oculorum« die Obduktion eines erst dreijährigen Knaben, der an einem merkwürdigen, großen Tumor des linken Auges gestorben war. Rudolf Virchow bezeichnete diesen außerordentlich seltenen Tumor dann fast 300 Jahre später im Jahr 1864 als »Glioma retinae«.
    1872 sah sich Hilario De Gouvea, ein junger brasilianischer Augenarzt in Rio de Janeiro, mit dem Fall eines kleinen Jungen konfrontiert, der am rechten Auge an einem solchen Glioma retinae litt. De Gouvea tat das einzig Richtige. Er entfernte das befallene Auge. Der Junge überlebte, wuchs auf und heiratete eine Frau, in deren Familiengeschichte Krebs keine Rolle zu spielen schien. Das Paar hatte mehrere Kinder. Gleich zwei ihrer Töchter entwickelten denselben extrem seltenen Tumor wie ihr Vater, noch dazu auf beiden Augen gleichzeitig. Sie starben daran. Für Hilario De Gouvea blieben diese Fälle ein Rätsel.
    Wenig später erkannte Albrecht von Graefe, dass es sich bei vielen Fällen dieser sehr seltenen Augentumoren um eine erbliche Krankheit handelte. Der definitive Namensgeber der Erkrankung wurde dann der Augenarzt Fredrick Herman Verhoeff. Er entdeckte im Jahr 1926, dass diese seltenen Tumoren aus unreifen Zellen der Netzhaut entstanden, aus den sogenannten Retinoblasten. Er nannte die Erkrankung deshalb das Retinoblastom. Etwa 40 Prozent aller Retinoblastome treten familiär gehäuft auf und werden nach den Mendelschen Gesetzen autosomal-dominant 65 ererbt. Ungewöhnlich ist außerdem, dass sie im Gegensatz zu fast allen anderen Tumorerkrankungen beinahe ausschließlich Kleinkinder betreffen und praktisch nie nach dem achten

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