KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)
führt geradewegs in den Operationssaal. Verengungen der Speiseröhre lösen Schluckbeschwerden aus. Vor allem bei der Aufnahme fester Nahrung entsteht ein Kloßgefühl, oder das Schlucken wird als schmerzhaft empfunden. Eine Verlegung der Gallenabflusswege durch einen Tumor der Gallengänge oder durch eine Krebserkrankung der Bauchspeicheldrüse unterbricht den Abfluss der Galle aus der Leber in den Darm. Der Stuhlgang wird heller, da die dunklen Gallenpigmente fehlen. Dafür steigt die Konzentration der Gallenfarbstoffe im Blut an, und es kommt zur »Gelbsucht« und zur dunklen Verfärbung des Urins. Verengungen der Atemwege können sich durch ein verschärftes, pfeifendes Atemgeräusch bemerkbar machen. Geht die Krebserkrankung vom Kehlkopf aus, entsteht durch die Veränderung der Stimmbandanatomie schon bei kleinen Tumoren bereits chronische Heiserkeit.
Theoretisch kann das Wachstum eines Tumors
ein Organ auch komplett zerstören. Dann kommt es zu Beschwerden, die vom Funktionsausfall des betreffenden Organs herrühren. Allerdings sind die meisten Organe sehr luxuriös dimensioniert. Sie funktionieren auch dann noch recht ordentlich, wenn größere Teile ihres Gewebes zerstört sind. Viele Organe wie die Lungen, die Nieren, die Eierstöcke, die Hoden und auch hormonelle Drüsen wie die Nebennieren sind außerdem paarig angelegt. Selbst der Komplettausfall eines der beiden Organe wird im Normalbetrieb des Körpers meist ohne Probleme durch die andere Seite kompensiert. Daher machen sich Tumoren oder Metastasen in solchen soliden Organen oft recht spät bemerkbar, meist lange, nachdem der Krebs auf andere Art und Weise auffällig geworden ist.
Ein Spezialfall ist allerdings das Gehirn. Viele lokalisierte Störungen und Erkrankungen des Gehirns können zu spezifischen Ausfällen ganz bestimmter Hirnfunktionen führen. Dabei kann es je nach Lokalisation des Problems zu Lähmungen oder Gefühlsstörungen, zu Problemen beim Sehen, Hören oder Riechen, teilweise aber auch zu sehr bizarren und komplexen Störungen des Wahrnehmungs-, Sprach- oder Denkvermögens kommen. 6 Solche neurologischenAusfälle können durch Migräne oder andere Durchblutungsstörungen verursacht sein. Sie können aber auch durch Verletzungen oder eben durch Tumorerkrankungen im Gehirn entstehen. 7
Während die Symptome der Migräne oder der Durchblutungsstörungen meist flüchtig sind, akut oder periodisch auftreten, verschlimmern sich Probleme, die durch einen Tumor verursacht werden, meist langsam, aber stetig; oder sie verschlechtern sich stufenweise, Schritt für Schritt. Neurologische Probleme, die sich nicht binnen Tagesfrist wieder spontan bessern, sollten grundsätzlich abgeklärt werden. Tumoren im Gehirn können sich allerdings auch durch epileptische Anfälle manifestieren. Selbst hinter vordergründig psychiatrischen Krankheitsbildern, Verwirrungszuständen, Halluzinationen oder Wahnvorstellungen kann sich eine Krebserkrankung des Gehirns verbergen.
An einem anderen Ort: Metastasen
Besonders heimtückisch sind Symptome, die den Blick vom Ursprung des Geschehens ablenken. Wir haben gelernt, dass Krebs eine Krankheit in ständiger Transformation ist. Wenn er nicht vorher entdeckt und behandelt wird, überschreitet fast jeder Tumor irgendwann einmal den Rubikon von der lokalisierten Erkrankung zur Systemkrankheit – vorausgesetzt das Leben seines »Wirts« lässt ihm die Zeit dazu. 8
Schon im Jahr 1757 notierte der Pariser Arzt Henri François Le Dran seine Beobachtung, dass Krebserkrankungen in der Regel punktförmig entstehen und sich dann stufenweise im Körper ausbreiten. Er stellte fest, dass Tumoren als kleine Knoten entstehen, die wachsen und irgendwann einmal beginnen, durch die Lymphbahnen zu wandern und in benachbarten Lymphknoten Tochtergeschwülste zu bilden. Ein weiterer Franzose, Joseph-Claude Anthelme Récamier, beschrieb etwa 80 Jahre später das Phänomen der Invasion von Tumorzellen in Blutgefäße, ihre Verschleppung über die Blutbahn und die Absiedlung in anderen Organen. Er war es, der diese Tochtergeschwulste als Metastasen bezeichnete. 9
Nicht selten bleibt der Ursprungstumor stumm,
und es sind erst die Metastasen, durch die sich die Erkrankung zu Wort meldet. Metastasen können im Prinzip jedes Gewebe und jedes Organ des Körpers betreffen. Allerdings wissenwir inzwischen, dass Krebszellen ihre Vorlieben und Abneigungen haben. 10 Dabei variieren die Präferenzen von Tumorart zu Tumorart. In der
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