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KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition)

Titel: KREBS: Die unsterbliche Krankheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Bleif
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kleinen weißen Elefanten, die seine Ehefrau schließlich doch aus dem Konzept brachte. Frau R. neigte sonst nicht gerade zu großen emotionalen Ausschlägen, weder in die eine noch in die andere Richtung.
    Ein Schrei drang aus dem Schlafzimmer. Als Frau R. den Raum betrat, stand ihr Mann aufgeregt gestikulierend am Ende des Bettes und schien imaginäre Fliegen zu verscheuchen. Er keuchte und war außer sich: »Jag sie weg, schon wieder fliegen diese Biester durchs Zimmer, kleine weiße Elefanten, fast … fast ein halbes Dutzend!«
    In der Notaufnahme der Medizinischen Klinik
hatte sich Herr R. unter dem Einfluss einer ordentlichen Dosis Psychopharmaka bereits wieder ein wenig beruhigt. Er wirkte trotzdem noch ziemlich müde, desorientiert und konfabulierte. Offensichtlich war er vollkommen nüchtern. Auch die Computertomographie seines Gehirns zeigte keine Auffälligkeiten. Was aber schon bei der ersten Labor-Kontrolle auffiel, war der Wasserverlust und die deutlich erhöhte Konzentration von Kalzium-Ionen im Blut. Dieser Befund war die Erklärung für seine plötzlichen Wahnvorstellungen. Kalzium spielt eine wichtige Rolle für die Stabilität und für den Signaltransport von Nervenmembranen. Ein Überschuss an Kalzium-Ionen kann die Übertragung von Signalen im Gehirn ziemlich durcheinanderwerfen und eine handfeste Psychose auslösen.
    Aber wo war die Ursache? Hinter einer Hyperkalzämie, einer Vermehrung der Kalzium-Ionen im Blut, können hormonelle Störungen stecken. Eine Überfunktion der Nebenschilddrüse führt zu vermehrter Produktion von Parathormon. Dieses Hormon dreht an drei Schrauben des Kalzium-Stoffwechsels gleichzeitig und treibt die Konzentration von Kalzium im Blut massiv in die Höhe. Auch eine Überfunktion der Schilddrüse oder eine Unterfunktion der Nebennierenrinde können die fein austarierte Balance der Blutsalze aus dem Gleichgewicht bringen. Daneben erhöhen auch bestimmte Medikamente oder eine Überdosierung der Vitamine D oder A die Konzentration von Kalzium im Blut. Die häufigste Ursache sind aber Knochenmetastasen. Sie lösen die Struktur des Knochens auf und setzen dabei massiv Kalzium aus dem Knochen frei.
    Aber bei Herrn R. war nichts zu finden, was auf eine der beschriebenen Ursachen hindeutete. Allerdings fand sich auf einem Röntgenbild der Lunge, das eher zufällig angefertigt worden war, eine zarte »Verschattung«. Auch wenn sich der Radiologe vorsichtig ausdrückte, war der Befund verdächtig genug, um eine Gewebeprobe zu entnehmen. Tatsächlich litt Herr R. an Lungenkrebs. Wie kann aber ein Tumor, der auf das Lungengewebe begrenzt ist, zu derart dramatischen Veränderungen der Kalzium-Konzentration im Blut führen?
    Genauere Blutuntersuchungen lieferten die Antwort: Im Blutserum fanden sich sogenannte Parathormon-ähnliche Peptide (PTHrP). Diese kleinen Moleküle sind Stoffe, die dem normalen Parathormon ähneln und die genau wie das echte Hormon die Kalzium-Konzentration erhöhen. Die Quelle der Parathormon-ähnlichen Peptide sind die Tumorzellen. In seltenen Fällen bringen genetische Veränderungen Krebszellen dazu, sich wie eine Hormondrüse zu verhalten und selbst Hormone oder Hormon-ähnliche Stoffe zu produzieren. Die Mediziner nennen solche Phänomene paraneoplastische Syndrome. Gerade der Lungenkrebs ist eine Krebsform, die mehr als andere zu solchen Kapriolen neigt.
    Tumoren können auch Kortison oder Kortison-ähnliche Substanzen erzeugen. Manchmal verbirgt sich also hinter dem Mondgesicht, hervorgerufen durch überschüssiges Kortison, keine Erkrankung der Nebennierenrinde, sondern ein Tumor, der ein Hormon namens ACTH (adrenocorticotropes Hormon) ausschüttet, dass seinerseits die Nebennierenrinde überstimuliert.
    In seltenen Fällen kann Krebs
selbst das Immunsystem dazu bringen, seine guten Umgangsformen zu vergessen. Das Lambert-Eaton-Syndrom ist eine Autoimmunkrankheit, die durch eine bestimmte Form von Lungenkrebs verursacht werden kann. Der Körper produziert plötzlich Antikörper, 11 die den Ionenkanal, der in der Membran von Nervenzellen angesiedelt ist, blockieren. Die Blockade beeinträchtigt die Fähigkeit zur Muskelkontraktion. Die Betroffenen bemerken oft zunächst ein hängendes Augenlid, gefolgt von einer allgemeinen Muskelschwäche, die bis zur kompletten Lähmung bestimmter Muskelgruppen gehen kann. Nicht nur das seltene Lambert-Eaton-Syndrom, sondern auch manche Hauterkrankungen beruhen auf autoaggressiven Reaktionen des Immunsystems, die

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