Kreuz des Südens
Hammer äußerst sensibel und hatte sich in diesem Zusammenhang die einzelnen Stadtbereiche von Richmond sehr genau angesehen. Sie wusste, dass es noch nicht lange her war, dass Schwarze zu diversen Clubs keinen Zutritt hatten oder nicht in bestimmte Gegenden ziehen durften. Golfplätze, Tennisanlagen und öffentliche Schwimmbäder waren für sie tabu. Veränderungen hatten nur sehr zögerlich stattgefunden und erwiesen sich in vieler Hinsicht als trügerisch.
Zwar hatten Vereine und Wohnviertelvereinigungen angefangen, Schwarze aufzunehmen, in manchen Fällen sogar schwarze Frauen, aber über die Warteliste hinauszukommen oder sich wirklich wohl zu fühlen, war eine andere Sache. Als der zukünftige erste schwarze Gouverneur von Virginia versuchte, in eine exklusive Wohngegend zu ziehen, wurde ihm das verweigert. Als auf der Ehrenmeile des Friedhofs ein Standbild von Arthur Ashe aufgestellt wurde, hätte das bald einen neuen Krieg ausgelöst.
Chief Hammer hatte ein ungutes Gefühl, als sie mit ihrem Assistenten Fling durch den Hollywood-Friedhof fuhr, um den Schaden zu inspizieren und herauszufinden, ob die Beschreibungen übertrieben gewesen waren. Sie waren es nicht. Hammer parkte den Wagen am Davis-Rondell, von wo aus die angemalte Bronzestatue aus der Ferne gut sichtbar war. Mächtig hob sie sich gegen den Hintergrund aus Magnolien und Nadelhölzern ab. Unten am Marmorsockel wehten kleine Flaggen der Konföderierten, die unmittelbare Umgebung war mit gelbem Tatort-Absperrband abgesichert.
»Sieht aus, als ob er den Ball bunkert und ihn gar nicht mehr hergeben will«, stellte Fling fest. »Sieht auch ein bisschen arrogant aus.«
»War er ja auch«, sagte Hammer und unterdrückte ein Lachen, bis ihr Blut in Wallung geriet und sie es kaum noch aushielt. Dem Standbild von Davis hatte man immer eine stolze, ja hochmütige Ausstrahlung zugesprochen. Er trug den für die Zeit typischen Anzug des Gentlemans aus dem Süden, den nun ein Graffiti-Künstler auf bemerkenswerte Weise verändert hatte. Aus dem langen Mantel waren ein bauschiges Trikot und voluminöse Shorts bis zu den Knien geworden, die Hose hatte er in muskulöse Beine mit Sportsocken verwandelt, die Stiefel in Basketballschuhe von Nike.
Hammer und Fling stiegen aus der Crown-Victoria-Limousine, als sie hinter sich den kehligen Sound eines Mercedes 420 E vernahmen. Der mit Schiebedach und Ledersitzen ausgestattete schwarze Nobelschlitten fuhr um Hammers Wagen herum und hielt direkt davor.
»Verdammt«, sagte Hammer, als Lelia Erhart etwas vom Beifahrersitz auflas und ihre Tür öffnete, »wo ist der Dolmetscher?«
Obwohl Erhart in Richmond geboren war, hatte sie doch den größten Teil ihrer Jugend in Wien verbracht, wo ihr Vater, Dr. Howell, ein reicher, berühmter Musikhistoriker, bereits seit Jahren an einer unautorisierten psychologischen Biographie über den sehr sanftmütigen und sensiblen Mozart und seine Angst vor Trompeten gearbeitet hatte. Später war die Familie nach Jugoslawien gezogen, wo Dr. Howell den unterbewußten Einfluss der Musik auf die Nemanjic-Dynastie erforscht hatte. Deutsch war Lelia Erharts Muttersprache, dann war Serbokroatisch hinzugekommen und schließlich Englisch. Keine der Sprachen konnte sie gut, sie hatte sie jedoch miteinander verbunden, sie verrührt und verknetet wie einen Kuchenteig. Für einen Augenblick stand Erhart starr, wie von der Statue hypnotisiert, mit vor Schreck leicht geöffneten Lippen. Sie trug gelbe Escada-Jeans, eine knallgelb gestreifte Bluse mit einem E auf der Hemdtasche, einen schwarzen Gürtel, der mit Schmetterlingen aus Messing beschlagen war, und dazu passende Schuhe. Obwohl Hammer fast ausschließlich Ralph Lauren und Donna Karan trug, kannte sie auch andere Modedesigner und wusste, dass die Schmetterlinge schon ziemlich alt waren. Dieser Umstand verschaffte Hammer ein wenig Genugtuung, doch lange nicht ausreichend.
»Dies wird eine Aufstand aufregen«, schrie Erhart und ging mit ihrer Canon-Automatickamera etwas näher an den Tatort heran. »Nichts wie das ist davor passiert worden.«
»So würde ich es nicht ausdrücken«, antwortete Hammer. »Vor noch gar nicht so langer Zeit hat jemand die Statue von Robert E. Lee bemalt.«
»Dies war etwas anderes.«
»Man hat keinen schwarzen Basketballspieler aus ihm gemacht«, sagte Fling bestätigend. »Was nicht heißen soll, dass ihm das nicht passiert wäre, aber er sitzt ja auf einem Pferd mit einem Schwert in der Hand, und dann noch
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