Kreuzberg
sich auseinander. Bei uns kam noch der
Mauerfall dazu. Diese ganzen Veränderungen waren zu viel.«
»Haben Sie
Kinder?«
»Nein. Wir
wollten keine.«
Ich
überlege. So komme ich nicht weiter mit dem Reinicke. Er macht das recht
geschickt, beantwortet jede Frage, ohne etwas zu sagen. Manche Leute sind so,
die merken das gar nicht. Andere tun es ganz bewusst. Und zu welcher Sorte
gehört Lothar Reinicke?
Die Tür
klappt, und Hünerbein kommt leise herein.
»Autoschlüssel
vergessen«, flüstert er, geht zu seinem Schreibtisch, kramt darin herum und
verschwindet wieder. »Ciao!«
»Ciao, ciao«, mache ich. »Herr Reinicke«, wende ich mich ihm wieder zu, »haben
Sie eine Ahnung, wer Ihre Frau getötet haben könnte?«
»Nee.
Raubüberfall wahrscheinlich.«
Das wundert
mich jetzt doch ein bisschen. Dass er das Verbrechen an seiner früheren Ehefrau
einfach so hinnimmt.
»Sie wurde
nicht beraubt.«
»Tja.« Er
hebt die Schultern. »Dann weiß ich auch nicht.«
»Was
glauben Sie: Was könnte sie nachts im Viktoriapark gemacht haben?«
»Gute
Frage.« Er schüttelt den Kopf. »Weiß ich auch nicht. Spazieren vielleicht?«
»Nachts um
halb eins?«
»Man hat ja
einen guten Blick von dort oben«, gibt Reinicke zu bedenken. »Ich war da auch
schon. Das ist ganz schön da. Vor allem nachts. Die Stadt breitet sich unter
einem aus: ein funkelndes Lichtermeer.« Er nickt lächelnd. »Ja, Berlin ist groß
geworden, jetzt wo es wieder eins ist. Glaubt man gar nicht.«
Okay. Das
wird so nichts, denke ich. Ich muss konkreter werden.
»Diesen
Zeitungsartikel über einen Banküberfall am Mehringdamm«, ich schiebe ihm die
ausgeschnittene Meldung über den Schreibtisch, »haben wir in den Unterlagen
Ihrer Frau gefunden. Können Sie sich das erklären?«
Lothar
Reinicke sucht in seiner Jeansjacke und holt eine Lesebrille hervor.
Er putzt sie
erst etwas umständlich, bevor er sie sich auf die Nase setzt, um den
Zeitungsartikel genau zu studieren. Noch immer zeigt er kaum eine Regung.
»Was gibt’s
da zu erklären«, sagt er nach einer Weile und gibt mir den Artikel zurück. »Das
hat sie wahrscheinlich interessiert.«
»Ja,
offensichtlich. Ich frage mich nur, warum?« Ich zeige ihm die handschriftlich
notierten Ziffern am Rand. »Vor allem interessiert mich, was das hier bedeutet:
drei Zahlen. Zehn, neun und zweiundsiebzig.«
Reinicke
hebt die Hände. »Weiß nicht.«
»Sie hatte
erhebliche Geldprobleme. Wussten Sie davon?«
»Ja, Gott,
Frauen haben immer Geldprobleme«, winkt er ab. »Gerade jetzt im Westen. Swanni
wollte alles sofort.«
»Und Sie?«
»Ich nicht.
’ne neue Bohrmaschine vielleicht, oder ’n Fernseher. Aber sonst? Ich bin nicht
so anspruchsvoll. Ich hab immer noch meinen Trabbi und bin damit sehr
zufrieden.«
»Gab es
darüber Streit bei Ihnen?«
Ȇber den
Trabbi?«
Ȇber Ihre
unterschiedlichen Ansprüche. Übers Geld. War das ein Grund für Ihre Scheidung?«
»Ja«, gibt
er zu, »auch, vielleicht. Welches Paar streitet sich nicht ums Geld, wenn’s
knapp wird? Wir hatten halt unterschiedliche Prioritäten.«
»Können Sie
sich erklären, warum sich für den Tod Ihrer Frau auch die Geheimdienste
interessieren?«
Lange habe
ich überlegt, ob ich ihm die Frage stellen sollte. Jetzt war sie heraus.
»Geheimdienste?«
Jetzt zeigt er endlich mal ein Gesicht. Ein völlig irritiertes zwar, aber
immerhin. »Was für Geheimdienste?«
»Der
Verfassungsschutz ermittelt.«
»Tatsächlich?
Warum?«
»Das würde
ich gerne von Ihnen wissen, Herr Reinicke. Aus der Wohnung Ihrer Frau wurde
alles gestohlen, was Auskunft über ihre Person geben könnte, über ihr Leben,
ihre Familie. Haben Sie eine Ahnung, wer das getan haben könnte und warum?«
»Nein!«
»War sie in
irgendwas verwickelt?«
»Swanni?
Nicht dass ich wüsste.« Langsam wird er nervös.
»Was machen
Sie eigentlich beruflich?«
»Nichts.
Arbeitslos.«
»Und
früher. In der DDR ?«
»Fernmeldewesen«,
antwortet er und strafft sich. »Ich war Oberst bei der NVA .
Nachrichtentruppe.«
»Und Ihre
Frau?«
»Finanzamt
Mitte«, erklärt er, »hat sie immer gemacht. Sie war schon da, als ich sie
kennenlernte.«
»Wann war
das? Ursprünglich ist sie doch in Rostock geboren.«
»Ja, aber
zweiundsiebzig war sie schon in Berlin.«
»Und in all
den Jahren hat sich kein Freundeskreis gebildet? Leute, mit denen Sie heute
noch zusammen sind? Ich meine, Sie können doch unmöglich ganz allein auf der
Welt gewesen sein! Oder finden wir nur
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