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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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nichts über persönliche Kontakte bei Ihrer
Frau, weil das alles beiseitegeschafft wurde?«
    »Ja, keine
Ahnung. Ich meine, so viele Freunde hatten wir auch nicht mehr.«
    »Und
Feinde?«
    Reinicke
schüttelt den Kopf und rutscht unruhig auf seinem Stuhl herum. »Na ja,
vielleicht. Ich weiß nicht. Früher hatten wir viele Bekannte und Freunde. Dann
gingen die ersten in den Westen. Von denen haben wir nie mehr gehört. Und dann
brach alles zusammen, und diese bescheuerten Stasigerüchte machten die Runde.
Am Ende blieb keiner übrig.«
    »Stasigerüchte?«
    »Na hören
Sie mal, ich war Oberst«, regt er sich auf, »und natürlich hatte ich in dieser
Funktion auch Kontakte zum M f S . War völlig normal. Die drehen doch
heute alle durch: Stasi, Stasi, völlig bekloppt! Alles Widerstandskämpfer
heute. Niemand will mehr was mit einem ehemaligen Oberst der NVA zu tun haben. Selbst mein alter Parteisekretär wählt heute CDU .«
Er zeigt zum Fenster. »Gehen Sie doch mal vor die Tür! Fragen Sie irgendeinen DDR -Bürger!
Sie werden heute keinen mehr finden, der mal für unser Land war.«
    Ganz so
erlebe ich das nicht, aber muss sein Eindruck deshalb falsch sein?
    »Die haben
sich alle abgewandt von mir. Weil ich systemnah war. Damit will keiner mehr was
zu tun haben. Am Ende sind Swanni und ich nach Kreuzberg gezogen, in den
Westen, weil uns hier keiner kennt und wir die ganzen Opportunisten nicht mehr
ertragen müssen. Die wollen doch alle nur noch mit dem Arsch an die Wand. Und
verraten dafür die besten Freunde.«
    Jetzt habe
ich ihn. Jetzt zeigt er Gefühl. Aber bringt mich das weiter? – Nicht
wirklich.
    »Kann ich
jetzt gehen?«, fragt er mich.
    Ich nicke.
Mir fällt ohnehin nichts mehr ein. Ich stehe auf und gebe ihm die Hand.
    »Wiedersehen,
Herr Reinicke. Und vielen Dank!«
    »Keine
Ursache.«
    Ich öffne
ihm die Tür, und er ist weg.

38    »WEGEN PUTSCH BIS
AUF WEITERES GESCHLOSSEN«, stand
an den heruntergelassenen knallgelben Rollläden der Zyankali-Bar. Hünerbein
parkte seinen elf Jahre alten 250er Mercedes verkehrswidrig in der Toreinfahrt
gegenüber und stellte sein Pappschild mit der Aufschrift »Der Polizeipräsident
von Berlin – Einsatzfahrzeug« hinter die Windschutzscheibe. Das schreckte
jede Politesse ab.
    Zufrieden
strebte Hünerbein der Hausnummer 64 zu und klingelte bei Misirlioglu. Niemand
öffnete. Er versuchte es bei der Nachbarin.
    »Ja, hallo,
wer ist da?«, krähte es aus dem Lautsprecher der Gegensprechanlage.
    »Kriminalpolizei!
Machen Sie bitte die Tür auf!«
    Der Öffner
surrte, und Hünerbein trat ein.
    »Sie woll’n
doch nich zu mir, oda wat?« Die Nachbarin stand neugierig auf dem Treppenabsatz.
    »Nee«,
antwortete Hünerbein etwas kurzatmig, »ich wollte zu den Misirlioglus, aber die
machen nicht auf.«
    »Wegjehn
sehn hab ick se nich.« Die Nachbarin legte ihr Ohr an die Wohnungstür des
Blumenhändlers und lauschte. »Allerdings kiek ick ooch nich imma ausm Fensta,
wa?«
    »Wirklich
nicht?« Hünerbein klingelte mehrmals energisch. »Eigentlich sollten die doch zu
Hause bleiben, falls sich was wegen der Tochter tut.«
    »Wieso? Wat
issn mit Fatma?«
    »Nichts«,
winkte er ab. »Gar nichts.« Alles musste diese Frau ja nun auch nicht wissen.
    Da
weiterhin nicht geöffnet wurde, horchte auch Hünerbein an der Wohnungstür.
    »Tja«,
machte die Nachbarin, »sindse wohl wirklich nich da, wa?«
    »Ruhe!«
Hünerbein machte eine genervte Geste. Ihm war, als hätte er etwas gehört: ein
Geräusch, kaum wahrnehmbar …
    Jetzt
polterte etwas laut in der Wohnung. So als wäre etwas krachend umgefallen,
gefolgt von einem erstickten Schrei. Das klang nicht gut. Das klang überhaupt
nicht gut.
    »Treten Sie
beiseite«, verlangte Hünerbein in amtlichem Ton. »Weg da, schnell!«
    Dann nahm
er Anlauf und warf sich mit seiner ganzen Körpermasse von gut dreieinhalb
Zentnern gegen die Wohnungstür der Misirlioglus.
    Einmal. Und
noch einmal. Beim dritten Mal endlich gab das schwere Eichenholz nach, und der
Kommissar krachte in den Flur.
    Das nennt
man »mit der Tür ins Haus fallen«, dachte Hünerbein und richtete sich
schnaufend wieder auf.
    Aus dem
Wohnzimmer drangen seltsame Geräusche. Wie ein ersticktes Keuchen. Hünerbein
öffnete die Flügeltür und riss erschrocken die Augen auf. Hüseyin Misirlioglu
hatte sich erhängt. Er baumelte an einem Strick, der von der Zimmerdecke hing,
lebte aber noch. Seine Füße zappelten und zuckten. Ein paar Stühle, die der
Blumenhändler

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