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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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zum Beispiel: Habe er je daran gedacht, dass
auch sie nur einmal lebt? Dass sie sich aufopferte für die Familie, schuftete,
sparte und putzte, während er bei anderen Weibern den reichen anatolischen
Blumenprinzen spielte?
    Plötzlich
war ihr klar, dass der Vater nichts mehr liebte als sich selbst. Dass er
rücksichtslos nur sein Glück vor Augen hatte, sein Vergnügen und seine Lust.
Insofern war er keinen Deut besser als das Schwein vom Viktoriapark. Nicht ganz
so brutal, aber genauso ein Arsch!
    »Haben sie
dich gut behandelt, Kind?«, erkundigte er sich, und Fatma sah angewidert auf
den blutroten Abdruck des Stricks an seinem Hals. »Haben sie dich verletzt?«
    Offenbar
glaubte er immer noch, sie sei von bösen Gangstern entführt worden.
    »Du hast
mich verletzt«, schrie sie ihn an. »Du hast Mutter verletzt! Du hast alle
verletzt! Ich hasse dich!«
    Und dann
hatte sie vor den verdutzten Augen der Krankenpfleger ihren Wischeimer über
seinem Bett ausgekippt und war aufgebracht davongerannt.
    »Sind
wir schon am Meer?«
    Fatma
glaubte erst, sie träume. Doch es war tatsächlich Annika, die gesprochen hatte.
Ganz leise und kaum hörbar, aber deutlich. Und sie hatte sogar die Augen
aufgeschlagen, blickte Fatma aus glänzenden Pupillen an.
    Oh, Annika,
bist du wirklich wieder zurück? Glücklich bedeckte Fatma ihr Gesicht mit
Küssen.
    »Noch
nicht, Schatz!«, flüsterte sie erleichtert. »Aber bald, das kannst du mir
glauben. Wir sind fast schon da. Spätestens morgen siehst du das Meer, bei
Allah, ich verspreche es.«
    Als um
sechs Uhr abends eine korpulente Krankenschwester ihren Routinegang durch die
Station machte, fand sie das Zimmer mit der jungen Patientin, die seit Wochen
künstlich ernährt werden musste, leer. Nur der Tropf hing noch an seinem Haken.
Aus einem Schlauch tropfte Nährflüssigkeit aufs verwaiste Bett.
    Zehn
Minuten später wurde im ganzen Haus Alarm geschlagen. Es ging eine Suchmeldung
an alle Stationen raus, und man verständigte die Polizei.
    Doch Annika
wurde nicht mehr gefunden.

44    DER
VIKTORIA-LUISE-PLATZ war
zur Verwunderung seiner meist recht gut betuchten Bewohner komplett abgeriegelt
worden. Ein Sondereinsatzkommando stürmte die Kanzlei »Naumann, Rechtsanwalt
und Notar« unter Einsatz von Blendgranaten und Tränengasgeschossen, was sowohl
bei der Sekretärin als auch der blutjungen Anwaltsgehilfin zu hysterischen
Schreiattacken führte. Beide mussten traumatisiert und schwer unter Schock
stehend ins Krankenhaus eingewiesen werden. Der Anwalt selbst ließ sich
widerstandslos festnehmen.
    Zur selben
Zeit suchten Polizeitaucher von Schlauchbooten aus in der Havel unter der
Heerstraßenbrücke nach der Browning. Sie brachten ein verrostetes
Herrenfahrrad, die Reste zweier Stahlhelme der deutschen Wehrmacht, mehrere
Eimer, einen Zimmermannshammer und drei ungeöffnete Konservendosen aus
Beständen der Senatsreserve ans Ufer, bevor sie auf eine Zehn-Zentner-Bombe
des Typs SAP  1000 stießen. Der Blindgänger
aus dem Zweiten Weltkrieg war noch scharf, sodass das Areal drum herum
weiträumig evakuiert und die Heerstraßenbrücke gesperrt werden musste.
    Seitdem
ist die Suche nach der Waffe unterbrochen, was mich in große Bedrängnis bringt,
ist sie doch das einzige Indiz für Naumanns Täterschaft. Ich kann nur hoffen,
dass der Blindgänger rasch entschärft und die Waffe noch gefunden werden kann.
Bis dahin muss ich Naumann hinhalten oder zu einem Geständnis animieren.
    Mit vom
Tränengas geröteten Augen sitzt er vor mir im Vernehmungsraum A unserer
Dienststelle in der Keithstraße und die einzige Frage, die er zu seiner
Verhaftung hat, ist: »Wer?«
    Er will
wohl wissen, wer ihn verraten hat.
    »Ich.« Das
kann meine einzige Antwort sein, wenn ich Siggi aus der Sache raushalten will.
»Sie sind gesehen worden, Naumann. Von mir.«
    »Sie
bluffen.« Sein Gesicht zeigt keine Regung.
    »In der
Nostitzstraße 21, erinnern Sie sich? Sie hatten in der Wohnung von Swantje
Steffens nach Unterlagen gesucht. Zufällig stand ich hinter der Tür zum
Schlafzimmer und konnte Sie beobachten.« Ich lege ihm das Phantombild vor. »Und
dann zogen Sie plötzlich eine Waffe. Dieselbe Waffe, mit der Sie später auch
die Russen umgebracht haben.«
    »Das können
Sie nicht beweisen.« Naumann schaut betont gelassen auf seine Uhr. »In
spätestens achtundvierzig Stunden müssen Sie mich gehen lassen. Und dann werde
ich mich bei Ihren Vorgesetzten beschweren, Herr Hauptkommissar Knoop. Die
Sache

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