Kreuzberg
verfallen. Ahnungslose, selbstgerechte Idioten ohne Ehre schlugen sich
plötzlich auf die Seite des Gesetzes. Sie haben ihm nie verziehen, dass er sie
wegen nächtlicher Ruhestörung verklagt hat. Dass es jetzt Lärmauflagen gab.
Trotzdem:
Sie hätten sich einfach heraushalten sollen, und alles wäre gut gewesen.
Stattdessen riefen sie die Polizei.
Wahrlich: Wir haben dir Überfluss
gegeben, darum bete zu deinem Herrn und opfere. Siehe, deine Hasser sollen ohne
Erfolg sein.
Jeden
Moment konnte das Telefon klingeln. Was sollte er ihnen erzählen? Dass er
nichts mehr hatte? Dass der Wagen beschlagnahmt worden war? Wegen ein paar
Spinnern aus der Zyankali-Bar?
Allahu akbar! Hüseyin verbeugte sich tief.
Sie würden
es nicht verstehen. Und sie würden ihre Drohung wahr machen. Allah hört den, der IHN preist.
Nicht das
Kind, dachte er verzweifelt, und Tränen stiegen ihm in die Augen. Es hat nichts
getan, lasst die Finger von dem Kind!
Allahu akbar! Hüseyin fiel auf die Knie. Subhane
rabbiyel ala. Allahu akbar!
Weise mir
den Weg, oh Herr, flehte er hilflos, weise mir den Weg aus jenem entsetzlichen
Labyrinth des Schicksals, in das ich mich verirrt habe. Meine Sünden sind
unverzeihlich, ich weiß. Ich war schwach und leichtsinnig, aber ist es gerecht,
ein unschuldiges Kind dafür zu bestrafen?
Nein!
Niemals, subhane rabbiyel ala, alles Lob gebührt Dir,
oh Herr, aber das darfst du nicht zulassen, dem Kind darf nichts geschehen, hörst du, subhane rabbiyel ala !
Eine
Tür klappte. Hüseyin hatte es ganz deutlich gehört. Draußen die Wohnungstür.
Abwartend hielt er inne.
»Habt ihr
was rausgefunden?«
» Yallah ,
wir wissen jetzt, wo der Wagen steht.« Hüseyins Söhne Cemir und Orhan betraten
den Raum. »Polizeidepot Belziger Straße.«
»Dann sind
wir verloren!«
»Nein,
Vater!« Die Söhne liefen ungeduldig im Raum herum. Wie junge, hungrige Panther.
Hüseyin war sehr stolz auf seine Söhne.
»Das Auto
steht im Außenbereich vor der Halle. Das Tor kann man mit einem Bolzenschneider
knacken.« Orhan hockte sich nieder und sah seinen Vater eindringlich an. »Wenn
wir schnell sind, haben wir eine Chance.«
»Und die
Kralle?«, fragte Hüseyin. »Ist sie noch am Wagen?«
Die Jungs
nickten. »Die müssen wir abmachen. Ohne dass es jemand mitbekommt.«
»Nein.«
Hüseyin schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren.«
»Wenn wir
den Schlüssel haben, schon.«
»Habt ihr
den Schlüssel?«
»Nein.«
Orhan lächelte. »Aber wir wissen, wo sie wohnt. Es ist ganz in der Nähe.«
»Ihr wisst,
wo sie wohnt«, wiederholte Hüseyin nachdenklich. »Alhamdulillah!« Seine tapferen Jungs. Aus
denen würde mal was werden.
»Gut«,
sagte er nach einer Weile, »dann haben wir wirklich noch eine Chance. Inschallah! «
Er reichte
seinen Söhnen die Hände. Sie schlugen ein.
»Inschallah«, wiederholten sie feierlich.
7 KRIMINALOBERRAT
DR. EDMUND PALITZSCH hat zum samstäglichen Arbeitsbrunch in sein Büro geladen. Das ist so eine neue
Idee von ihm.
»Die
meisten Mordfälle ereignen sich an den Wochenenden«, pflegt er zu sagen. »Die
Menschen haben größtenteils frei, feiern zu viel und liegen sich zwei lange
Tage lang auf der Pelle – da geht es mitunter heftig zur Sache.« Und die
Statistiken geben unserem Chef leider recht.
Ermittlungen
sind immer ein Anrennen gegen die Zeit; je länger eine Tat zurückliegt, desto
schwieriger wird deren Aufklärung. Passiert also an einem Freitag oder Samstag
etwas, müssen wir das Wochenende durcharbeiten, und Palitzsch veranstaltet dann
seinen Arbeitsbrunch. Der hebe die Moral der Truppe.
Heute gibt
es Lachshäppchen und Senfeier, dazu Unmengen von Kaffee, Wasser und Tee.
Hünerbein
haut ordentlich rein, bevor er in seine Mondpause muss, und schmatzt
genüsslich.
Palitzsch
hat mit einem Tässchen Tee in einem seiner Sessel am Fenster Platz genommen und
lässt sich Bericht erstatten.
»Egon, du
warst nach der Spusi als Erster am Tatort – was gibt’s?«
Beylich ist
der Einzige von uns, mit dem sich Palitzsch duzt. Die beiden haben sich auf der
Feier zur Deutschen Wiedervereinigung kennengelernt, als Beylich in Ostberlin
noch Leiter des Kriminalamtes Mitte war. Sie sind sich damals sozusagen auf
Augenhöhe begegnet, und seitdem duzen sie sich. Inzwischen ist Beylich, obwohl
zum Oberkommissar herabgestuft und somit vom Rang her niedriger als beispielsweise
Hünerbein und ich, zum heimlichen Stellvertreter Palitzschs in der Abteilung
geworden.
Wir
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