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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Orhan
wieder in den Griff. Zwar zitterten die Hände noch am Steuer, aber die
Anspannung war weg. Er fühlte sich wie ein siegreicher Sportler, der brüllend
über die Ziellinie gelaufen war. Nur dass Orhan nicht geschrien hatte. Er war
mit hundertachtzig Sachen bei Rot über den Innsbrucker Platz gerast, echt
krass, Mann.
    »Wo müssen
wir denn hin?«, fragte er mit heiserer Stimme und fädelte sich, ruhiger
werdend, hinter dem Steglitzer Kreisel in den Verkehr auf der Schloßstraße ein.
    »Lichterfelde
West«, rief Hüseyin, »da muss irgendwo eine Telefonzelle sein.« Nervös sah er
auf die Uhr. »Schaffen wir das noch bis drei?«
    Vier
Minuten, dachte Orhan, wird knapp, mal schauen. Er fuhr zügig Unter den Eichen
entlang bis Drakestraße und bog da links ab. Und nach den S-Bahn-Brücken rechts
in die Hans-Sachs-Straße rein. Der große Zeiger der Bahnhofsuhr rückte gerade
auf die Zwölf, als Orhan vor der Telefonzelle stoppte. Man hörte es schon
klingeln.
    Hüseyin
sprang aus dem Wagen und nahm hastig den Hörer ab. »Ja, hallo?«
    »Schmeiß
deine blöden Jungs aus dem Auto, klar?«
    »Ja, gut,
ist in Ordnung.« Irritiert sah er sich um. Wurde er beobachtet? Von wo? Und von
wem? Um ihn herum nur Lichterfelder Rentnerpaare beim Samstagsspaziergang zur
Eisdiele. Keine Erpresser, jedenfalls niemand, den man für einen echten
Verbrecher halten könnte.
    »Und dann«,
fragte er, »wo ist die Übergabe?«
    »Schick die
Jungs weg und fahr zum Sandgrubenteich. Du hast sechs Minuten. Ende.«
    »Was?
Wohin? Sandgrubenteich?« Aber am anderen Ende der Leitung war niemand mehr. Die
hatten aufgelegt. Sandgrubenteich … Wo sollte das denn sein?
    Hüseyin
verließ die Telefonzelle und ging verwirrt zum Auto zurück.
    »Haut ab«,
sagte er zu seinen Jungs, »wir werden beobachtet.«
    »Echt?« Die
Jungs stiegen aus und suchten die Umgebung aufmerksam nach Blicken ab. »Meinst
du, die sind hier?«
    »Ich weiß
nicht!«, schrie Hüseyin entnervt. »Die wollen, dass ihr weggeht! Nun macht!«
    »Alles
klar. Viel Glück.« Die Söhne liefen etwas unschlüssig und sich noch ein paarmal
zu ihrem Vater umdrehend auf den S-Bahnhof zu.
    »Sandgrubenteich.«
Hüseyin sprach eine ältere Dame an, die ihren Hund Gassi führte. »Wissen Sie,
wo das ist?«
    Der Köter
kläffte wie verrückt drauflos.
    »Was?«,
schrie die Oma. »Fridolin! Aus!«
    Der Hund
bellte noch lauter.
    »Er hört
schlecht, tut mir leid.« Die Frau lächelte entschuldigend und ging weiter.
    Hüseyin
riss das Handschuhfach auf, holte einen Stadtplan hervor und studierte hastig
das Straßenverzeichnis. Nirgendwo eine Sandgrubenstraße, kein Sandgrubenweg und
auch nichts, was sich »An der Sandgrube« oder »Am Sandgrubenteich« nannte.
Hüseyin blätterte das gesamte Register durch. Nichts. Es gab keinen
Sandgrubenteich in Berlin!
    Ganz ruhig,
beschwor sich Hüseyin. Dieser dämliche Teich ist nur nicht im Register
verzeichnet. Aber es muss ihn ja geben, irgendwo, sechs Autominuten von hier.
Er schlug einen imaginären Kreis auf der Karte um den S-Bahnhof herum und
begann mit der Suche von Süden im Uhrzeigersinn. Im Grunewald gab es die Sandgrube,
aber keinen Teich. Und außerdem war die weit außerhalb der Sechs-Minuten-Zone.
Oder nicht? Irrte er sich?
    Hüseyin war
so angespannt, dass er unbewusst die Zunge zwischen die Lippen vorschob.
Inzwischen waren von den sechs Minuten schon zwei vergangen, und noch immer
stand er hier ratlos herum. Oder hatten das die Erpresser eingeplant? Dass man
länger brauchte, um überhaupt herauszufinden, wo dieser Teich war? War er
vielleicht doch näher dran?
    Hüseyin
verkleinerte den Kreis auf einen geschätzten Vier-Minuten-Radius und stockte
plötzlich. Da! Da war er: Sandgrubenteich, es stand genauso auf der Karte. Ein
winziges Wasserloch im Zehlendorfer Gemeindewäldchen. Direkt an der
Fischerhüttenstraße.
    Hüseyin
sprang ins Auto und fuhr sofort los.
    Fünf
Minuten später war er da. An einem idyllisch gelegenen kleinen Teich. Der Wind
kräuselte spärlich das Wasser und spielte mit dem dichten Laub der Bäume
ringsum. Zwei Enten stiegen flatternd auf. Menschen waren keine zu sehen.
Hüseyin war ganz allein. Er lief den Kiesweg entlang und sah sich unruhig um.
Und jetzt? Was sollte er hier?
    »Hallo?«,
rief er, und seine Worte kamen als Echo von den hohen Bäumen zurück. »Ich bin
hier! Hüseyin!«
    Niemand
antwortete ihm. War er zu spät? War alles gelaufen? Aus? Vorbei?
    »Habt
Gnade«, flehte er verzweifelt. »Ich

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