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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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über den Teltowkanal hielt er sich halb rechts und erreichte
mit fast zwanzigminütiger Verspätung den kleinen Waldparkplatz im Düppeler
Forst.
    Erst jetzt
bemerkte Hüseyin, dass er total durchgeschwitzt war. Mit weichen Knien stieg er
aus. Was würde ihn hier erwarten? Aufmerksam sah er sich um. An einer
Informationstafel für Radwanderer steckte ein kleiner zusammengefalteter
Zettel.
    Aha, dachte
Hüseyin, noch eine Botschaft. Rasch lief er auf die Tafel zu. Bloß keine Zeit
mehr verlieren, vielleicht konnte er die Verspätung bis zum nächsten Ziel
aufholen. Mit fahrigen Fingern faltete er den Zettel auf. Diesmal waren es nur
zwei Worte. Und wieder waren sie mit Schreibmaschine getippt worden: »Te ş ekkür ederim!« – Vielen Dank!
    Vielen
Dank? Hüseyin verstand nicht. Wofür? Was sollte das jetzt heißen?
    Plötzlich
wurde hinter ihm der Mercedes gestartet. Sein Mercedes!
    Ruckartig
fuhr Hüseyin herum.
    Mit
durchdrehenden Reifen fuhr der Wagen an.
    »Nein!«
Hüseyin rannte los. »Hey! Was soll das?«
    Er hatte
keine Chance. Der Wagen verschwand und ließ den entsetzten Blumenhändler in
einer Staubwolke zurück.

13    MAN HATTE MICH im Urban-Krankenhaus in einen
Computertomografen gesteckt und von allen Seiten durchleuchtet.
    Ergebnis:
Ich bin praktisch kerngesund. Keine Blutgerinnsel im Hirn, keine Fraktur der
Schädeldecke. Bis auf etwas aufgeplatzte Haut, die wieder zusammengenäht worden
war, und eine daraus resultierende kreisförmige Tonsur meines Haupthaares war
alles gut. Die Glatze hatte ich unter Damaschkes Kriminaltechniker-Basecap
versteckt, gegen die höllischen Kopfschmerzen waren mir Tabletten verschrieben
worden. Ibuprofen. Ich hatte gleich zwei davon genommen, und tatsächlich ließen
die Schmerzen nach etwa einer halben Stunde nach.
    Mir ist
nach frischer Luft, nach einem kleinen Spaziergang, um nachdenken zu können.
    Ich gebe
zu, bislang habe ich nur meinen Job gemacht. So wie immer. Das Schicksal dieser
Kreuzberger Finanzbeamtin Swantje Steffens ist mir dabei herzlich egal. Das
geht in unserem Beruf gar nicht anders. Wenn wir jedes Mal mit den Opfern
mitfühlen würden, wären wir nach spätestens fünf Jahren reif für den
Psychologen. Zudem bin ich Beamter. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt so oder
so. Ob ich nun herausfinde, was mit der Frau passiert ist, oder nicht, ist
völlig wurscht. Ich muss meinen Kopf nicht hinhalten. Risiken sind mir ein
Gräuel. Ich bin vierundvierzig und habe vor, das Pensionsalter zu erreichen.
Sonst hätte sich dieser ganze Stress all die Jahre nicht gelohnt. Und dann
kommen ein paar wirre Kriminelle und hauen mir fast den Schädel ein?
    Nee. Geht
gar nicht. Ab jetzt ist das eine persönliche Sache. Hüseyin Misirlioglu kann
einpacken. Und seine Komplizen auch. Die Kerle buchte ich höchstpersönlich ein,
verlasst euch drauf!
    Grimmig
laufe ich am Carl-Hertz-Ufer entlang und versuche, mich zu konzentrieren: Was
ist da gelaufen zwischen dem Blumenhändler und der Vollzugsbeamtin? Er hat
Steuerschulden, sie lässt dessen Auto pfänden und mit einer Parkkralle sichern.
So viel ist klar. Er und seine Söhne wollen die Kralle wieder abbauen, doch der
Betreiber der Zyankali-Bar holt die Polizei. Die lässt den Wagen abschleppen.
Auch okay.
    Aber was
ist dann passiert, überlege ich, während ich durch Wilms- und Johanniterstraße
Richtung Zossener laufe, was wollte Swantje Steffens nachts im Park? Wie und
warum ist sie zu Tode gekommen?
    Fakt ist:
Sie starb. Und am nächsten Morgen bricht der Blumenhändler mit seinen Söhnen in
ihre Wohnung ein, um die Schlüssel für die Parkkralle und den gepfändeten Wagen
zu stehlen. Und um anschließend diesen Wagen aus dem Polizeidepot Belziger
Straße überfallartig zu entwenden. Merkwürdig.
    Inzwischen
stehe ich an der lärmenden Kreuzung Blücherstraße-Mehringdamm. Die Ampel
schaltet hier nur kurz auf Fußgängergrün. Man muss rennen, um in einer Phase
rüberzukommen, sonst steht man ewig. Berlin ist eben eine Autofahrerstadt.
Passanten haben in der U-Bahn zu verschwinden, auf den Straßen stören sie nur.
Manche behaupten, Fußgänger würden in der deutschen Hauptstadt diskriminiert.
Was sicher übertrieben ist. Und selbst wenn es so wäre, kann es kaum der Grund
dafür sein, dass Hüseyin Misirlioglu unbedingt sein Auto zurückhaben will.
    Aber was
dann? Was ist dem Blumenhändler an diesem Wagen so wichtig, dass er einen Mord
riskiert und Polizisten niederschlägt?
    Grübelnd
gehe ich durch die

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