Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
Vom Netzwerk:
Obentrautstraße. An der Ecke Großbeerenstraße finde ich eine
türkische Teestube. Ob der Blumenhändler hier öfter zu Gast war?
    Irgendwas
werden sie schon über ihn wissen, denke ich und trete ein.
    Ein
heller, mit Neonröhren beleuchteter Raum, obwohl draußen noch die Sonne
scheint. Die Wände und der Fußboden sind mit orientalischen Fliesen verziert
wie in einer Moschee. An großen Tischen sitzen bärtige Männer mit Wasserpfeifen
und rauchen ein sehr intensiv riechendes aromatisches Kraut. Einige sehen einem
Fußballspiel der türkischen Liga zu, das vom Fernseher über dem schmalen Tresen
übertragen wird, andere unterhalten sich leise, spielen Rummikub und Batak. In
einer Ecke hockt ein einsamer Tavla-Spieler vor seinem Brett und wartet auf
einen Gegner. Das ist mein Mann.
    »Iyi akşamlar .« Ich gehe auf ihn zu und
setze mich.
    Früher, vor
dem Mauerfall, was mir schon wie eine Ewigkeit vorkommt, habe ich oft meine
Urlaube in der Türkei verbracht. In kleineren, idyllisch gelegenen Orten
abseits der Touristenhochburgen von Fethiye oder Bodrum. Dort saß ich dann mit
einheimischen Fischern beim Tavla und habe so nebenher auch einige Brocken
Türkisch gelernt. Lange her. Heute bestimmen Melanie und Monika mein
Leben – und die fliegen lieber nach Mallorca oder in die USA .
    Der
Tavla-Spieler schiebt mir den Würfelbecher zu, und wir fangen an zu spielen.
Tavla ist die türkische, und wie ich finde, interessantere Variante des
Backgammon. Die Regeln sind zwar oberflächlich betrachtet nahezu identisch,
aber eben nur fast. Der Verdoppelungswürfel spielt keine so wichtige Rolle wie
bei uns, und es fehlt auch die Möglichkeit des Schlagens und Weiterlaufens.
Dadurch kann man ein Spiel mit etwas Fortune immer wieder drehen. Aber heute
habe ich kein Glück und bin bald hoffnungslos unterlegen.
    Das hebt
die Laune meines Gegners, und er beantwortet meine Fragen nach Hüseyin
Misirlioglu nur allzu gern.
    Ja, der
Kerl liebe die Frauen wirklich, nickt er lächelnd, das sei ein echter Don Juan.
Die Frauen seien auch der Grund, warum der Blumenhändler finanziell so schlecht
dastehe. Schöne Frauen haben hohe Ansprüche, nicht wahr? Derzeit aktuell sei
die Affäre mit Sylvie de Groot, einer reizenden Holländerin, die ein Reisebüro
in der Bergmannstraße betreibe. »Es heißt, wie seine Besitzerin wirkt: ›Het
Paradijs Reizen‹.« Der Türke lacht über seinen gelungenen Witz.
    Jedenfalls
habe Hüseyin dieser Dame einen kostspieligen Liebestrip nach Mauritius
versprochen. Zum Verhängnis wurde ihm die Rache der Sophia Hertz, einer
enttäuschten Sachbearbeiterin der Kreuzberger Steuerbehörde, die wohl auf die
Ehe gehofft hatte. Als sie ihre Erwartungen enttäuscht sah, hat sie den
Blumenhändler mit der Steuerfahndung traktiert.
    »Seitdem
ist er so gut wie pleite.«
    Ich lächle.
Ob Swantje Steffens auch eine enttäuschte Liebe des Blumenhändlers war?
    Der
Tavla-Spieler würfelt. Er wisse nichts von einer Swantje. Aber möglich sei das
schon, und Hüseyin kein Mann, der etwas anbrennen lasse. Bedauernd sieht er
mich an. Ich habe verloren.
    »Möchten
Sie eine Revanche?«
    »Ein
anderes Mal vielleicht.« Ich verabschiede mich: »Vielen Dank«, und zahle meinen
Tee.
    An der
Zyankali-Bar schrubbt ein Mann mit freiem Oberkörper und leicht ergrauter
Vokuhila-Frisur die Jalousien. Aber das »We kill you
all« will nicht so
recht weggehen.
    »Autolack«,
flucht der Mann wütend, »wenn ick da mit ’ner chemischen Bombe rangehe,
verflüchtigen sich eher die Scheißrollos als die Farbe.«
    »Warum
streichen Sie’s nicht einfach über?«, frage ich ihn.
    »Weil sich,
wenn da zu ville Farbe druff is, die Rollos nicht mehr hochziehen lassen«,
erklärt der Mann. »Det musste sensibel handhaben, vastehste?«
    »Was war
denn gestern los?«
    »Na, wat
wohl?« Der Mann winkt ab. »Stress war, wie imma!«
    »Hat sich
jemand über den Lärm beschwert?«
    »Wieso
Lärm?« Der Mann lacht. »Hörste wat? Ick nich.« Er schrubbt verbissen weiter auf
der Farbe rum. »Und nachts is hier ooch nich mehr so ville los. Unser’n türkischen
Mitbürgern sei Dank!«
    »Sie reden
von der Familie, die über Ihrem Laden wohnt?«
    »Ja, ick
rede von der Familie, die über mei’m Laden wohnt.« Er hört auf zu schrubben und
sieht mich genervt an. »Wat fragense denn so blöde? Det wissense doch.«
    Stimmt, denke
ich.
    »Schleichen
doch schon den janzen Tach Bullen hier rum.« Der Zyankali-Mann stemmt die Hände
in die Seiten und guckt

Weitere Kostenlose Bücher