Kreuzberg
Kollegin: Ich
kann mich nicht erinnern, Ihnen noch sonst wem gegenüber zum Ausdruck gebracht
zu haben, dass es sich bei der getöteten Swantje S. um ein
Vergewaltigungsopfer handelt.«
»Es gibt
andere Hinweise darauf.«
»Nein, die
gibt es eben nicht.« Graber knallt die Zeitung auf den Tisch, dass die
Kaffeetassen klappern. »Ich kann sogar definitiv ausschließen, dass Swantje
Steffens sexuell missbraucht wurde.« Er zieht ein mehrseitiges Papier hervor.
»Hier ist mein Bericht. Und nun, liebe Frau Lenz, sehen Sie zu, dass Sie
schleunigst zurückrudern. Denn Gleichberechtigung hin und her«, wird er lauter,
»hier steht meine Reputation auf dem Spiel. Falschinformationen an die Presse
dulde ich bei Frauen genauso wenig wie bei Männern!«
»Können Sie
auch Mord ausschließen?«, erkundigt sich Palitzsch.
»Leider
nein, im Gegenteil.« Dr. Graber wird wieder ruhiger. »Wie ich ja schon
gestern vermutete, ist der Tod durch stumpfe Gewalt auf den Hinterkopf
eingetreten. Die Schädeldecke wurde zertrümmert, die Frau war sofort tot.«
»Ja, aber
gestern schlossen Sie einen Unfall noch nicht aus«, erinnere ich ihn. »Sie
sagten, es könne auch ein Unfall gewesen sein.«
»Das ist
vollkommen korrekt, denn aufgrund der Lage der Leiche hätte die Frau auch nur
unglücklich gestürzt sein können«, sagt Graber. »Inzwischen haben meine
Untersuchungen aber ergeben, dass sie schon tot war, als sie dort unten am
Wasserfall zu liegen kam. An der Kopfwunde fanden sich Rostpartikel, die
eindeutig darauf hinweisen, dass die Ärmste mit einem Metallgegenstand
erschlagen wurde. Einer alten Eisenstange zum Beispiel.« Er klopft auf seinen
Bericht und legt ihn auf den Tisch. »Steht alles da drin.«
Er grüßt
und strebt wieder zur Tür. Dort dreht er sich noch mal um. »Frau Lenz, ich
erwarte ein offizielles Dementi. Bis dahin darf ich mich in den Sonntag
verabschieden. Guten Tag.«
Die Tür
fliegt etwas zu laut zu.
»Tja.«
Hünerbein atmet geräuschvoll aus. »Da hat sich wohl wer etwas zu weit aus dem
Fenster gelehnt, was?«
»Ich wurde
falsch interpretiert«, erwidert Inga Lenz scharf. »Sie kennen doch die
Boulevardpresse.«
»Sie
offensichtlich nicht.« Palitzsch schenkt sich triumphierend ein Tässchen Tee
nach. »Sonst würden Sie vorsichtiger in Ihren Äußerungen sein.«
»Ich sagte
doch«, Inga Lenz stiefelt errötend zur Tür, »ich wurde falsch interpretiert!
Und ich werde das richtigstellen!«
Wieder
knallt die Tür, und Inga Lenz ist weg.
Auf sie
mit Gebrüll, denke ich. Wir fühlen uns wie Feldherren nach einer gewonnenen
Schlacht. Einer nicht besonders ruhmreichen Schlacht, denn es war ja unser
Rechtsmediziner, der Totengräber, der den entscheidenden Schlag geführt hat.
Trotzdem bin ich froh. Wenn Inga Lenz in einen Raum kommt, fühle ich mich
immer, als wenn die Luft plötzlich dünner wird. Als würde ihr ganz langsam,
aber stetig der Sauerstoff entzogen. Nun ist die blöde Ziege weg, und wir
können wieder atmen.
»Wenn die
Steffens so große Geldprobleme hatte«, überlege ich laut, »könnte es doch sein,
dass sie etwas mit der Entführung der Misirlioglu-Tochter zu tun hatte.«
»Was sollte
ihr das bringen?« Hünerbein winkt ab. »Die wusste doch, dass bei denen nichts
zu holen ist.«
»Offiziell
nicht«, da hat Hünerbein sicher recht. »Aber vielleicht wusste sie mehr.«
»Du meinst,
die haben irgendwo was an der Steuer vorbei gebunkert?«
Genau das
meine ich. »Und die Steffens ist dahintergekommen.«
»Dann hätte
sie den Blumenhändler erpressen können, ohne die Tochter zu entführen.«
Hünerbein schüttelt den dicken Schädel. »Nein, ich glaube, dass da was ganz
anderes dahintersteckt. Das hab ich sozusagen im kriminalistischen Instinkt.«
Er beginnt umständlich in seiner Tasche zu kramen. »Und das sagen auch die
Sterne.«
»Harry,
bitte«, stöhne ich genervt, »lass uns mit dem astrologischen Käse in Ruhe!«
»Das ist
kein Käse«, erwidert Hünerbein und holt einen Packen Papier aus der Tasche,
»sondern hochwissenschaftliche Arbeit. Catherine persönlich hat mir –«
»Entschuldigung:
Wer?« Palitzsch rührt hektisch in seinem Tee.
»Catherine
Hirondeau«, ruft Damaschke, der hinten seine Sachen zusammenpackt, »das ist
Hünerbeins Neue.«
»Ach!«
Palitzsch hebt die Augenbrauen. »Und was ist mit Uschi?«
»Uschi ist
perdu«, erkläre ich, »ist mit einem Anlageberater nach Ibiza abgehauen.«
»Nach
Madeira«, verbessert mich Hünerbein, »und es war kein
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