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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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ganz intelligenter Junge zu sein, aber … Ist der nicht ein bisschen
zu groß für dich?«
    »Häh?«
Melanie verzieht das Gesicht.
    »Ich meine
zu alt, oder so?«
    »Boy ist
neunzehn.«
    »Ja«, sage
ich bekümmert, »volljährig, siehst du, da liegt genau das Problem.« Jetzt kann
ich meine Bedenken auf die Gesetze schieben. Nicht fair, aber hier geht es
schließlich um meine Tochter. »Du bist erst siebzehn, Spatz.«
    »Zwei Jahre
jünger, na und? Mutti ist acht Jahre jünger als du.«
    »Die war
aber volljährig, als ich sie kennenlernte.«
    »Sie war
achtzehn, Papa.« Melanie wedelt sich mit der Hand vor der Stirn herum. »Nicht
mal ein Jahr älter als ich jetzt.«
    »Sie war
volljährig«, beharre ich, »du bist es nicht. Dieser Boy macht sich demnach
strafbar, wenn er dich –«
    »Strafbar?«
Melanie starrt mich entgeistert an. »Wieso das denn?«
    »Weil er
volljährig ist und du nicht. So ist nun mal das Gesetz. Volljährige dürfen
nicht mit Minderjährigen.«
    »Was?«
    »Sex haben,
zum Beispiel.« So, jetzt ist es heraus. »Ich meine, der Kerl ist schwarz. Schon
mal was von Aids gehört?«
    »Na klar«,
höhnt Melanie und tippt sich gegen die Stirn. »Alle Schwarzen haben Aids! Wie
rassistisch ist das denn?«
    »Es ist nun
mal unbestritten, dass sich das HIV -Virus in Afrika am
schnellsten ausbreitet. Und es gibt kein Heilmittel dafür!« Warum begreift das
Mädchen nicht, dass ich mir einfach Sorgen mache?
    »Es ist nun
mal unbestritten, dass Boy in Berlin geboren ist«, kontert Melanie. »Sein Vater
ist Rechtsanwalt.«
    »Wo? Im
Kongo?«
    »Du bist so
blöd«, regt sie sich auf, dass ihre Augen blitzen, »und für jemanden, der mal
für die sexuelle Revolution auf die Straße gegangen ist, auch ziemlich
verklemmt!«
    »Ich bin
nicht für die sexuelle Revolution auf die Straße gegangen, Spatz!«
    »Na klar,
du warst bei den Prügelpersern!«
    Ich merke,
dass sich die Debatte ausweitet. Prügelperser! Wie kommt sie bloß darauf?
    »Stell dir
vor, das haben wir gerade im Unterricht: Schah-Besuch ’67, Prügelperser,
Ermordung von Benno Ohnesorg!« Sie rümpft missbilligend die Nase. »Und du hast
auf der anderen Seite gestanden. Pfui Teufel!«
    Von wegen,
denke ich. Überhaupt, was weiß Melanie schon von der Zeit? Ich will gerade
entsprechend reagieren, da klingelt es an der Tür. Hat Boy was vergessen?
Wütend reiße ich die Tür auf.
    »Was ist
denn?«
    »Na,
streitet ihr euch wieder?« Monika steht vor der Tür und hat zwei große
Pizzakartons in den Händen. »Hab ich bei Enzo geholt. Ich dachte, wir essen
zusammen. Wir haben ja schließlich noch was zu bereden.«
    Nicht das
noch, denke ich, jetzt will sie Melanie erklären, dass sie ein Schwesterchen
bekommt. Oder ein Brüderchen.
    »Deine
Tochter beschimpft mich gerade als Prügelperser!«
    »Nein«,
sagt Monika und kommt herein. »Damit hat Papa nun wirklich nichts zu tun.«
    »Trotzdem
hat er, während die Studenten gegen BILD und für die Gerechtigkeit
auf die Straße gegangen sind, auf der anderen Seite gestanden«, regt sich
Melanie auf, »das ist total konservativ!«
    »Herrgott!«
Jetzt reißt mir aber die Hutschnur. »Ich hab’s für meinen Vater getan«, rufe
ich aufgebracht. Dämliche Jugend! Verurteilt, ohne zu wissen!
    »Du hast
deinen Vater nicht mal gekannt«, blafft Melanie zurück.
    »Ja, eben«,
brülle ich, »ich wusste nur, dass er Sergeant der U.S. A rmy
war. Ich wusste nicht mal, ob er noch lebt oder, inzwischen zum Officer
aufgestiegen, in irgendwelchen vietnamesischen Sümpfen liegt. Da geh ich doch
nicht auf die Straße und demonstriere für Ho Chi Minh! Ich wollte meinem Vater
nicht in den Rücken fallen, ist das so schwer zu begreifen?«
    »Beruhigt
ihr euch?« Monika deckt den Tisch. »Oder wollt ihr euch mit Pizza bewerfen.«
    »Ist doch
wahr«, schnaube ich und öffne mein drittes Bier. Was weiß Melanie schon davon?
Klar, ich kannte meinen Vater nicht, aber Mutter hat mir von ihm erzählt. Dass
ich ihm ähnlich sähe und was für ein toller Mann er war. Und wenn wir in der
Schule gefragt wurden, was unsere Eltern machen, habe ich immer stolz gesagt:
Mein Papa ist Sergeant in der U.S. A rmy. Irgendwann hatte ich
meinen Spitznamen weg. Hünerbein nennt mich heute noch auf seine unnachahmliche
Art Sardsch.
    Melanie
lehnt in der Küchentür und sieht mich nachdenklich an. »Dir hat einfach nur ein
Vater gefehlt«, sagt sie versöhnlicher.
    »Er war
Amerikaner«, rege ich mich noch immer auf, »der Mann hat im Krieg

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