Kreuzberg
mögliche Komplikationen bei der Schwangerschaft und
überlegen, wie das Kind heißen soll. Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Und
wo man hinziehen sollte. Ein Haus – da ist es – wäre schön. Mit einer
Schaukel im Garten.
»Es gibt
genug Spielplätze in der Stadt«, höre ich mich sagen. Aber auch, dass ich mal
zur Bank gehen will, »um mich über Bausparverträge zu informieren«. – Ja,
ich rede tatsächlich von Bausparverträgen!
Was ist los
mit mir? Ich muss verrückt sein, ferngesteuert. Warum reagiere ich nicht? Warum
werfe ich das Steuer nicht ein für alle Mal herum? Ich könnte sagen, dass mich
das alles ankotzt und ich keine Familie will. Dass ich weder wieder Vater noch
irgendwann Opa werden will. Dass ich keine Kinder mag und Reihenhäuser hasse!
Ich könnte aufstehen und abhauen. Irgendwohin, wo mich Melanie und Monika nicht
finden! Ich könnte die beiden auch einfach aus meiner Küche schmeißen und
Schluss.
Aber ich
tue es nicht. Ich will keinen Streit. Und ich will weder Monika noch Melanie
verletzen. Sie sind so harmonisch miteinander, so zufrieden mit sich und der
Welt. Sie sind glücklich und freuen sich auf eine gemeinsame Zukunft mit mir.
Das kann ich nicht zerstören, nur weil ich mein altes Leben wiederhaben will.
Und so
bleibe ich. Ich sitze da, lächle meine Weibsen an und plane meinen endgültigen
Untergang als eigenständiger, freier Mann.
20 DIE DINGE HATTEN
SICH verselbstständigt.
Inga Lenz wusste es. Sie fühlte sich daran mitschuldig, denn tatsächlich hatte
dieser bescheuerte Knoop von der Mord 1 recht: Sie wurde die Geister, die sie
gerufen hatte, nicht mehr los.
Inga Lenz
saß in ihrem Büro zwischen Befragungsprotokollen, Täterprofilen, Tatortskizzen
und Spurenanalysen und starrte ins Leere. Es war wie ein Fluch: Egal was und
wie sie es anpackte – die Dinge liefen schief. Sie steckte mit ihrem
Golgatha-Fall in der Sackgasse. Es gab kaum verwertbare Spuren. DNA -Analysen
von Spermaresten erwiesen sich als fehlerhaft, Zeugenaussagen widersprachen
sich. Mal wurde der Täter als Südländer beschrieben, als Türke oder Araber,
dann wieder war er blond. Lediglich Tatablauf und -ort blieben dieselben. Es
traf immer Mädchen im Viktoriapark, und immer wurden sie mit einem Messer bedroht.
Aber musste es deshalb auch ein und derselbe Täter sein? Blieb er ein Phantom,
weil es ihn gar nicht gab?
» VERGEWALTIGER: WIR KRIEGEN DICH! «
Ganz
unbedacht hatte sie diesen Spruch auf eine Parkbank gesprayt, voller Hass und
Wut. Ehrliche Emotionen, die mal rausmussten. Es war wie ein Schwur, denn viel
zu lange schon trieb dieser Perverse da draußen sein Unwesen. Inga Lenz wollte
ihn endlich dingfest machen, dafür war sie Polizistin.
Doch schon
am nächsten Tag hatte sich dieser Schwur verhundertfacht. Plötzlich war er
überall zu lesen: auf Parkbänken und Baumstämmen, auf Skulpturen und Fußwegen.
» VERGEWALTIGER: WIR KRIEGEN DICH! «
Frauenverbände
und Mädchengangs hatten mobil gemacht, feministische Aktionsgruppen und
Bündnisse gegen sexuelle Gewalt. Sie alle waren nun auch auf der Jagd nach dem
mysteriösen Golgatha-Täter. Ohne es zu wollen, hatte Inga Lenz die durch den
Frauenmord ohnehin schon aufgeheizte Stimmung weiter angefacht und einen Mob
heraufbeschworen, der zu allem bereit war. Zehntausende wütender Frauen waren
gestern durch Kreuzberg gezogen und hätten sich fast eine Straßenschlacht mit
der Polizei geliefert, wenn Inga Lenz nicht stundenlang mit der Einsatzleitung
verhandelt hätte.
Frauenwehren
patrouillierten durch den Viktoriapark und zornige Mädchen mit Pfefferspray.
Schon gab es Übergriffe auf völlig unbescholtene Männer – wann den ersten
Toten?
Fast
verzweifelt hatte Inga Lenz auf die Demonstrantinnen eingeredet, hatte zu
erklären versucht, dass es sich bei der Toten nicht um ein Vergewaltigungsopfer
handelte, vergebens. Am Ende wurde sie beschimpft und ausgebuht. Niemand wollte
die Wahrheit hören.
Warum auch?
Die Wahrheit änderte nichts daran, dass der Vergewaltiger noch immer auf freiem
Fuß war.
»Vielleicht
sind es mehrere Täter.«
Inga fuhr
erschrocken aus ihren Gedanken auf.
Schmittke
lehnte in der Tür, wie immer lächelnd, eine Aktenmappe unter dem Arm.
»Es ist
gleich Mitternacht«, fuhr sie ihn an. »Was treiben Sie hier noch?«
»Verzeihung,
aber …« Er legte ihr die Aktenmappe auf den Tisch. »Ich bin das hier mal
durchgegangen.«
»Was ist
das?«
»Eine
Analyse des amerikanischen Profilers
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