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Kreuzberg

Kreuzberg

Titel: Kreuzberg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver G. Wachlin
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Und was hatte sie den Sowjets über Meyer erzählt? Um das herauszufinden, gab es
nur eine ganz kleine Möglichkeit. Aber die galt es zu nutzen.
    Meyer
wollte sein kleines Versteck in der Schrebergartenkolonie gerade für ein
Telefonat verlassen, als ihm ein grobschlächtiger Mann in den Weg trat. Ein
Handwerkertyp in Arbeitslatzhose und Flanellhemd.
    »’tschuldigung
mal bitte: Wer sind Sie?«
    »Österhaag«,
antwortete Meyer, so wie es mit Naumann abgesprochen worden war, »Karl
Österhaag. Ich betreue den Garten hier, solange die Pächter im Sommerurlaub
sind.«
    »Ach, dann
sind Sie der Schwager von der Heidi – allet klar!« Der Handwerker hielt
Meyer seine grobe Hand hin. »Urbanek mein Name, ick bin hier der Vorsitzende
des Kleingärtnervereins. Nüscht für unjut, aber hier brechense manchmal inne
Lauben ein. Deshalb müssen wa imma kieken, wer hier so rumschleicht. Aber die
Heidi hat Sie vorjemeldet, insofern weeß ick jetze Bescheid.« Er lächelte. »Wie
sieht’s aus: Samstag grillen, so als Einstand?«
    »Gern«, lächelte
Meyer zurück. »Spanferkel und zwei Kisten Bier?«
    »Klingt
jut. Ich spendiere ooch noch zwei Kisten aus der Vereinskasse – wir sind
hier schließlich ’ne ziemlich jroße und jute Truppe. Also willkommen Nachbar,
bis Samstag!« Er wollte gehen, drehte sich aber noch mal prüfend zum Garten um.
»Die Johannisbeeren müssense ernten! Sonst faulen die, und det versaut Ihnen
dann den janzen Strauch.«
    »Mach ich«,
versprach Meyer, »gleich heute Abend.«
    Er wartete,
bis Urbanek zwischen den Kleingärten verschwunden war, und machte sich dann mit
dem Fahrrad auf den Weg zur Telefonzelle am Grazer Platz, von wo aus er Monika
in ihrer Redaktion anrief. Da konnte er sicher sein, dass das Telefon nicht
abgehört wurde.
    Journalisten
genossen in Deutschland besonderen Schutz, das wusste er inzwischen zu
schätzen. Zwar gab es trotzdem immer wieder mal Abhöraffären, aber Monika kam
aus der DDR . Sie war ihr halbes Leben lang überwacht worden. Und Meyer
wusste, dass sie jeden Morgen ihr Telefon und Büro gründlich überprüfte. Wanzen
hatten bei ihr keine Chance.
    Natürlich
war Monika enttäuscht. Sie hatte Dieter am Telefon erwartet, und nun war bloß
Siggi dran. Meyer überspielte die aufkommende Verbitterung und erkundigte sich
betont gut gelaunt nach Melanie.
    Monika
blieb einsilbig.
    »Was habt
ihr vor«, fragte sie düster, »träumt ihr schon wieder von der Macht?«
    Von wegen,
dachte Meyer, dieser verdammte Putsch macht alles nur noch komplizierter.
    »Ich muss
mit dir reden«, gab er schließlich zu. »Ich bin in Schwierigkeiten.« Nein,
keine Geldprobleme, es sei viel schlimmer. Und ja, es habe mit dem Putsch zu
tun. »Die Russen räumen auf.«
    »Mit euch?«
Plötzlich klang sie besorgt.
    »Ja. Wer
nicht spurt, wird umgelegt.« Meyer seufzte. Jetzt war es raus. Und natürlich
witterte Monika sofort eine Story. Dafür war er immer gut. Für eine
Scheißstory. »Verdammt noch mal Moni, mein Leben ist in Gefahr!«
    »Wo können
wir uns treffen?«, fragte sie ruhig.
    »Polenmarkt,
okay? Ich warte am Ausgang der M-Bahn auf dich.«
    »In einer
halben Stunde?«
    »Ja, in
einer halben Stunde.« Meyer legte auf und sah auf die Uhr. Siebenundfünfzig
Sekunden hatte der Anruf gedauert. Falls ihn jemand zurückverfolgen wollte, war
er zu kurz gewesen.
    Die
Berliner Magnetbahn war seit 1989 erfolgreich im Versuchsbetrieb gewesen.
Passagiere konnten die Züge kostenlos nutzen, was deren Beliebtheit enorm
steigerte. Erst am 18. Juli hatte sie die Zulassung als neues Berliner
Nahverkehrssystem erhalten. Jetzt durften die Betreiber Fahrgeld nehmen, doch
schon zwei Wochen später kam das Aus. Nicht, weil die M-Bahn plötzlich keiner
mehr nutzen wollte. Sondern weil sie der U-Bahn-Linie 2 im Wege stand.
Diese U-Bahn-Strecke war seit dem Mauerbau unterbrochen und sollte mit der
Wiedervereinigung der Stadt wieder vollständig in Betrieb genommen werden.
Dafür musste die nagelneue M-Bahn weichen, aber der Lauf der Geschichte machte
eben auch nicht vor revolutionären Verkehrssystemen Halt.
    Meyer nahm
die Stadtbahn bis Anhalter Bahnhof und fuhr die restlichen Meter zur Bernburger
Straße mit dem Rad.
    Vor dem
seit knapp drei Wochen verschlossenen Eingang des Magnetbahnhofes demonstrierte
mit Plakaten ein kleines Grüppchen versprengter M-Bahn-Enthusiasten gegen den
drohenden Abriss. Meyer stellte sich dazu und sah dem Treiben auf dem
Polenmarkt zu.
    Ein wildes
Getümmel und

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