Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
darum.«
Als sie mit feuchten Tüchern zurückkam, hatte Cornelius seinen Vater weiter entkleidet und eine Decke über ihn gelegt. Er saß neben ihm auf der Bettkante, und in seinen Augen spiegelte sich dunkle Verzweiflung. Als Antonia seinen trostlosen Gesichtsausdruck sah, legte sie ihm die Hand auf die Schulter.
»Es ist nicht das erste Mal. Er wird es überleben.«
»Pierre starb auf diese Weise.«
»Dein Freund?«
»Mein Kettenpartner.«
»Trotzdem dein Freund?«
»Der beste.«
»Unser Vater wird nicht sterben. Seine Lippen sind nicht mehr so sehr blau, und er atmet, wenn auch nicht kräftig genug.«
Der Arzt war glücklicherweise zu Hause und kam innerhalb der nächsten paar Minuten.
»Gut gemacht, Fräulein Antonia«, lobte er, als sie den Vorfall geschildert hatte. »Gehen Sie nun zu Ihrer Mutter, und geben Sie ihr ein paar Tropfen hiervon. Sie hat zarte Nerven. Und Sie, junger Mann, werden mir zur Hand gehen. Sie sind sein Patensohn, nicht wahr?«
Antonia verließ widerwillig das Schlafzimmer. Es fiel ihr schwerer als alles andere, denn trotz ihrer eigenen Versicherungen, der Domherr würde sich wieder erholen, hegte sie große Zweifel daran. Noch nie vorher hatte er einen so schweren Anfall gehabt.
Antonia hatte Angst.
Briefe aus Köln
Zur Ordnung ruft des Meisters Schlag,
ihr Brüder auf und seid bereit!
Im Osten steigt herauf der Tag!
Schöpft aus und nützet eure Zeit!
Freimaurerlied
David saß in der Küche und sah zu, wie Emma schwungvoll Kuchenteig in einer Schüssel rührte. Baumeister Starks Tochter war eine begeisterte Bäckerin, und er kam häufig in den Genuss ihrer Produkte. Zugegeben, sie waren köstlich – ob Brot, Kekse oder Pasteten, Brezeln oder Torten, sie gelangen ihr immer. Er hatte es sich angewöhnt, die Samstagnachmittage bei ihr am Küchentisch zu verbringen und sich den Duft des Backwerks um die Nase wehen zu lassen, während er den Stoff der vergangenen Woche rekapitulierte. Emma, hatte er festgestellt, verfügte über ein fundiertes Wissen, was die Baukunst anbelangte, und sie machte sich auch diesmal den Spaß, ihn abzuhören. Als sie sich durch den Stoff gearbeitet hatten, fragte Emma schließlich: »Kommst du heute Abend mit zum Maitanz?« Obwohl sie von seinen steten Weigerungen, sich den Geselligkeiten anzuschließen, entmutigt sein sollte, versuchte sie immer wieder, ihn zu überreden. Sie war ein ausnehmend gutmütiges Mädchen, oder vielleicht nur ein außerordentlich geduldiges. Sie zuckte nicht einmal mit der Wimper, als David wiederum freundlich ablehnte.
Über ein halbes Jahr lebte und arbeitete er jetzt bei Meister Leopold. Auf den Baustellen machte er Fortschritte. Vom Wasserschleppen über das Sandschaufeln war er zum Mörtelmischen gekommen. Vom Steineschleppen arbeitete er sich zum Mauern vor, und in der vergangenen Woche hatte der Polier ihm erstmals Hammer und Meißel in die Hand gedrückt, damit er einen Stein zuhaue. Es war ein niederschmetterndes Erlebnis, sein Handgelenk schmerzte noch immer. Mit größter Bewunderung beobachtete er die Arbeit der Steinmetzen, die mit trügerischer Leichtigkeit dem harten Material ebenmäßige Formen abtrotzten. David hatte die tiefe Erkenntnis gewonnen, dass zwischen Wissen und Können ein meilenweiter Unterschied bestand. Er, wie auch seine Kommilitonen, wusste viel über die antiken, mittelalterlichen und neueren Stilformen, keiner der anderen aber hatte sich je mit ihrer Herstellung auseinandergesetzt. David war, trotz aller Schmerzen und Blasen, Schrunden und Muskelkrämpfe Meister Leopold dankbar, dass er seine Ausbildung auf der praktischen Seite unterstützte.
Er war auch Emma dankbar für ihre ruhige Kameradschaft. Obwohl er den leisen Verdacht hegte, ihr Vater würde gerne eine Verbindung zwischen ihnen stiften. Andererseits mangelte es der jungen Frau nicht an Verehrern, und alleine musste sie nie zum Tanz gehen.
David war ganz froh, sich am Abend mit dem Packen Briefe, den er an diesem Tag bekommen hatte, in sein Zimmer zurückziehen zu können. Paul Lettow hatte ihm geschrieben, und auch Pastor Dettering, aber die beiden Nachrichten konnten warten. Viel mehr reizten die Briefe aus Köln seine Neugier. Er öffnete das Mansardenfenster weit und ließ die kühle Abendluft eindringen. Es war noch hell genug, sodass er keine Kerze benötigte, um sie zu lesen.
Der erste Brief war in einer ihm unbekannten Handschrift adressiert, und er öffnete ihn mit Neugier.
»Lieber Bruder!«,
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