Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
Schreiben.
»Lieber David!
Ich darf Dich doch so nennen, Herr Leutnant? Jetzt, da wir alle eine Familie sind? Das Schicksal schlägt seltsame Purzelbäume. Aber ich bin Deinem Freund Nikolaus dankbar, dass er mir den Weg zu den Waldeggs geebnet hat.
Ich weiß, Cornelius hat Dir einen langen Brief geschrieben. Er und unser Herr Vater haben viele Stunden hinter verschlossenen Türen miteinander konferiert, was mich schrecklich eifersüchtig gemacht hat. Ich nehme an, Cornelius hat Dir ein vernichtendes Bild von meinem Charakter gemalt, aber wenn ich den seinen schildern sollte, würden auch die dunklen Farben überwiegen.
Lassen wir das.
Komm zu uns nach Köln, sobald Du die Gelegenheit dazu hast. Obwohl er es nicht laut sagt, so bin ich mir sicher, unser Vater wünscht sich, »seine Kinder« um sich versammelt zu haben. Ich habe einige Tage um sein Leben gebangt, und ich fürchte, einen weiteren Herzanfall wird er nicht überleben. Wir sorgen selbstverständlich dafür, dass er sich schont, aber das widerspricht seinem Gemüt.«
Antonia hatte deutlichere Worte gewählt als Cornelius, aber David brauchte nicht weiter überzeugt zu werden. Auch die wenigen, etwas zittrigen Zeilen, die der Domherr ihm sandte, und in denen er ihm versicherte, es stünde mit seiner Gesundheit zum Besten und dass er sich keine Sorgen machen müsse, beruhigten ihn nicht sonderlich.
Er stand auf und reckte sich. Die sommerliche Dämmerung hatte eingesetzt, und die Vögel sangen ihre verschlafenen Nachtlieder in der Buche vor dem Haus. Unten auf der Straße hörte er Schritte und Stimmen, und aus den Lauten schloss er, dass Meister Leopold von seinem abendlichen Ausflug zurückgekommen war. Er machte sich auf den Weg nach unten.
In der Küche traf er den Baumeister, der ihn mit einem verschwörerischen Zwinkern begrüßte. »Es geht nichts über ein spätes Nachtmahl«, grunzte er mit Behagen, als er den ersten Bissen der würzigen Pastete verschlungen hatte, die seine Tochter für ihn bereitgestellt hatte. »Aber du hast eine Sorgenfalte auf der Stirn? Studienprobleme?«
»Nein, da läuft alles hervorragend, und Emma erweist sich als kundige Tutorin. Aber ich habe Post bekommen. Meister Leopold, mein Vater ist schwer krank. Sein Herz, wissen Sie. Mein Bruder und meine… Schwester«, er zögerte etwas, denn an Antonia hatte er noch nie als seine Schwester gedacht, »bitten mich, ihn aufzusuchen.«
»Aber selbstverständlich, David. Wann willst du reisen?«
»Sowie das Semester zu Ende ist. Ich wollte eigentlich...«
»Deine Professoren werden dich sofort beurlauben, Junge. Und mir gegenüber hast du keine Verpflichtungen, die dich von dem Besuch deiner Familie abhalten.«
»Ich reise im Juni. Es ist im Augenblick besser für ihn, wenn nicht zu viele Leute um ihn herumhampeln und sich um ihn sorgen.« Er erzählte dem Baumeister, was in den Briefen stand und fand in ihm, wie immer, einen verständnisvollen Zuhörer.
»Eine erstaunliche Entwicklung, David. Kehr nach Hause zurück und hilf, die Angelegenheiten zu regeln. Steh auch deinem Bruder bei, denn es ist, wie du selbst gemerkt hast, schwierig, sich in einem neuen Leben zurechtzufinden. Man braucht verlässliche Freunde.«
»So, wie Sie mir einer sind, Meister Leopold.«
»Danke, mein Junge. Übrigens – hast du schon einmal mit den Gedanken gespielt, unserer Bruderschaft beizutreten?«
»Den Freimaurern?«
Der Baumeister nickte.
»Ich weiß es nicht. Ich bin immer noch nicht mit mir selbst im Reinen.«
»Wenn du es bist, und du möchtest es, werde ich für dich bürgen.«
»Wir wollen darüber sprechen, wenn ich zurück bin.«
»Ein guter Vorsatz. Aber ich fürchte, der Herr Pastor wird morgen einen trockenen Kanten Brot vorgesetzt bekommen. Wir haben alle Pasteten aufgegessen.«
David lachte und leckte sich die letzten Krümel von den Fingern.
»Das wird Emma nicht auf sich sitzen lassen, und ich werde mich als Wiedergutmachung selbst zum Teigkneten melden.«
Das nächtliche Gespräch half David, den Druck auf seinem Herzen loszuwerden. Er war zwar weiterhin um die Gesundheit seines Vaters besorgt, aber er war auch seltsam glücklich darüber, dass Cornelius und dieses struppige Kind, Toni, bei ihm waren.
In der Nacht träumte er von dem Mädchen, dem er so leichtherzig vor Magdeburg einen Kuss geraubt hatte.
Eklat auf dem Ball
Ein Freund, der mir den Spiegel zeigt,
den kleinsten Flecken nicht verschweigt,
mich freundlich warnt, mich herzlich schilt,
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