Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
wenn ich nicht meine Pflicht erfüllt:
Der ist mein Freund, so wenig er’s scheint.
Gellert
»Wieder die blauen Strümpfe an, Fräulein Gelehrsamkeit?«
Antonia wandte die Augen nicht von der Zeichnung eines menschlichen Herzens ab, sondern lüpfte den Rock, damit die weißen Strümpfe zu erkennen waren.
»Frauen, die ständig ihre Nase in Bücher stecken, werden wirr im Kopf.«
»Warum warnst du mich dann, Cornelius? Du hältst mich doch längst für einen Wirrkopf.« Antonia sah unwillig von dem Anatomiebuch auf, das sie emsig studiert hatte, als ihr Cornelius über die Schulter blickte.
»Stimmt. Aus dieser Art Lektüre ziehst du also deine einschlägigen Kenntnisse vom Körperbau der Männer?«
»O nein, lieber Bruder. Diese Kenntnisse habe ich am natürlichen Corpus erworben.«
»Was nicht für deine weibliche Keuschheit spricht.«
»Wieso? Ich ging zu Zeiten im Lazarett der Leichenwäscherin zur Hand.«
»Du bist wahrhaft degoutant, Toni!«
»Ich gestehe, Cornelius, dass mir der Anblick eines kräftigen, lebendigen und sonnengebräunten Männerkörpers auch mehr behagt als die grünlich blassen Leiber Verstorbener.« Antonia bemerkte mit einer gewissen Genugtuung, wie Cornelius der Unterkiefer niedersank, er nur den Kopf schüttelte und dann das Thema wechselte.
»Ich habe etwas mit dir zu bereden, Toni. Aber nicht hier. Unser Vater hat mich gebeten, dich spazieren zu führen – eine Pflicht, die er in der Vergangenheit übernommen hat.«
»Ja, wir sind oft am frühen Nachmittag ein Stück gegangen. Warte, ich will mir eben passende Kleider anziehen.«
»Putz dich nicht zu lange heraus.«
Sie schenkte ihm nur einen verächtlichen Blick und rauschte aus dem Zimmer. Wenige Minuten später erstaunte sie Cornelius mit ihrer Rückkehr und ihrer Aufmachung. Wie üblich hatte sie den weiten Rock und das kurze Jäckchen angezogen und trug derbe Schuhe an den Füßen.
»So willst du promenieren?«
»Ich promeniere nicht, ich marschiere. Ich hoffe, du kannst mit mir Schritt halten.«
Er konnte zwar mit ihr mithalten, kam sich aber albern vor, als er im Frack und Sturmschritt neben ihr hereilte. Aber sie zu einem langsameren Tempo zu überreden, dazu hätte er sich ein Stück der Zunge abbeißen müssen. Diese kleine Kröte forderte ihn schon wieder heraus!
»Was hast du mit mir zu bereden?«, fragte sie, als sie das Stadttor hinter sich hatten und sich den Feldern näherten.
»Ich habe mich mit Thomas Lindlar beraten. Du weißt ja, wir wollen seine Druckerei erweitern.«
»Ja, du sprichst von nichts anderem mehr. Man kommt nicht umhin, davon Kenntnis zu nehmen.«
»Schön, dann brauche ich dir meine Ideen ja nicht weiter zu erläutern.«
»Ihr sucht ein Haus. Du hast dich mit Versteigerungslisten und dem Stadtplan herumgeschlagen.«
Widerwillig musste Cornelius zugeben, dass Antonia wirklich wusste, was er plante. Gerade daher wuchs sein Misstrauen. »Was verstehst du davon?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Nicht viel. Die Hospizienkommission hat nicht genug Geld, um die Hospitäler aufrechtzuerhalten, darum bieten sie immer mal wieder die Liegenschaften an, die im Zuge der Säkularisierung an die Stadt gefallen sind. Das Mütterhaus, das der Société de la charité maternelle gehört, stammt aus einem solchen Verkauf. Unser Vater hat es damals erworben.«
»Nicht deine Mutter?«
»Nein, wie könnte sie? Sie ist ja noch nicht einmal in der Lage, ein Huhn auf dem Markt zu kaufen.«
»Das hat eine Dame auch nicht nötig.«
»Womit du mir mal wieder schlagend bewiesen hast, dass ich keine Dame bin. Was stimmt, denn ich kann dem Huhn sogar den Hals umdrehen, ihm die Federn ausrupfen, es ausnehmen und am Spieß braten. Du pflegst es dennoch mit Genuss zu verspeisen.«
Sie schlug ihn jedes Mal. Immer wieder. Es war entnervend! Zähneknirschend fuhr er fort: »Es steht nicht zur Debatte, was du in der Küche leistest. Es interessiert mich, wer im Namen Lindenborn Häuser aufkauft.«
»Ich besitze zweitausend Francs. Glaubst du, damit kann ein unmündiges Mädchen größere Immobilienkäufe tätigen?«
»Nein, vermutlich nicht.«
»Dann hör auf zu grollen, Cornelius. Ich habe dir dein Lieblingsobjekt nicht vor der Nase weggeschnappt. Erzähl mir lieber, wie du auf den Familiennamen meiner Mutter in diesem Zusammenhang gestoßen bist.«
Sie hatte natürlich Recht, er ließ sich viel zu leicht von ihr reizen. Er atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen, und erklärte es ihr
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