Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
ist dafür.«
Doch das Schicksal hatte größere Pläne, die das Leben nicht nur der Menschen in Antonias Umgebung für die nächsten drei Jahre erschüttern sollte.
VIERTER TEIL
Krieg und Frieden 1811 – 1814
Unsere äußeren Schicksale interessieren die
Menschen, die inneren nur den Freund.
Heinrich von Kleist
Der Geheimrat
Der hohe Dom zu Köln!
Es lag in Finsternis
Des Meisters Plan und Riss;
Jüngst hat man aus der Nacht
Den Plan ans Licht gebracht
Vom hohen Dom zu Köln!
Der Dom zu Köln, Rückert
Der Geheimrat war schlecht gelaunt und zeigte das auch dem aufdringlichen jungen Mann, der ihn an diesem schönen Maitag in seinem Haus in Weimar aufsuchte. Sulpiz Boisserée nannte er sich und kam aus Köln. Eine Stadt, der der große Dichter in seiner Erinnerung nicht gewogen war. Er hatte damals geschrieben, er sei, als er sie 1774 besuchte, unangenehm überwältigt von der Empfindung von Vergangenheit und Gegenwart in einem gewesen, die ihm etwas gespenstermäßig erschienen war.
Das Gespenstische rührte von dem unvollendeten Dom her, den er ohne Führung besichtigt und von dem er sich erfolglos versucht hatte vorzustellen, wie er denn nach Fertigstellung aussehen sollte. In Gesellschaft bewunderte er zwar diese merkwürdigen Hallen und Pfeiler, aber war er für sich, versenkte er sich in dieses mitten in seiner Erschaffung, fern von der Vollendung schon erstarrte Weltgebäude immer missmutig. Es störte ihn, dass abermals ein ungeheurer Gedanke nicht zur Ausführung gekommen war, und er schloss grummelnd, die Architektur sei nur da, um einen davon zu überzeugen, dass durch mehrere Menschen in einer Folge von Zeit nichts zu leisten sei. So wörtlich.
Nun bedrängte dieser redegewandte Mensch ihn mit seiner Sammlung alter Kölner Gemälde, vornehmlich sakraler Natur, und seinem so genannten Domwerk, an dem er arbeitete. Ihn, der er doch der christlichen Religion so überhaupt nicht geneigt war. Er gab sich also steif und zugeknöpft und war heilfroh, als er den ungebetenen Besucher endlich losgeworden war und er sich zu einem ruhigen Schoppen Rotwein in den Garten setzten konnte.
Indes, der Quälgeist ließ nicht locker und war auch nicht dadurch abzuschrecken, dass er ihm zum Abschied nur einen Finger reichte. Zwei Tage darauf pochte diese Nervensäge wieder an seine Tür und traktierte ihn mit seinen Kölner Zeichnungen. Der Geheimrat selbst hatte sich in sehr jungen Jahren ja ebenfalls mal für die Gotik interessiert, damals, in Straßburg. Aber der Nachgeschmack jener Studienzeit war ein nicht allzu köstlicher: Frederike Brion, eine gescheiterte Beziehung, das Kirchenrecht, eine gescheiterte Doktorarbeit und ein Traktat über das gotische Münster, für das er kein Lob erhielt. Andererseits …
Andererseits hatte er sich einst für die Gotik begeistern können. Erst hatte er zwar unter der Rubrik »gotisch« alle Synonyme von Unbestimmtem, Ungeordnetem, Unnatürlichem, Zusammengestoppeltem, Aufgeflicktem, Überladenem angehäuft, und es hatte ihm vor dem Anblick eines missgeformten krausborstigen Ungeheuers gegraut. Doch nun wühlte er die Zeichnungen heraus, die er selbst zu Zeiten vom Straßburger Münster gemacht hatte, und fand in Boisserée einen aufmerksamen Zuhörer. Also sah er sich noch mal diese Stiche an, die der Jungspund mit äußerster Beharrlichkeit und Gründlichkeit angefertigt hatte. Wider Willen nahmen sie ihn gefangen. Und hatte nicht dieser Boisserée eine hübsch bescheidene Art, ihm zu verstehen zu geben, er hielte ihn für einen der ersten Geister seiner Zeit und erhoffe beinahe schüchtern seinen Beifall?
Am Abend schrieb Sulpiz Boisserée in sein Tagebuch: »Ich weiß nicht, wie ich die Worte setzte, denn der Alte wurde ganz gerührt davon, drückte mir die Hand und fiel mir um den Hals. Das Wasser stand ihm in den Augen.«
Tatsächlich hatte der junge Kunstsammler sich der Unterstützung eines der mächtigsten Förderers des Dombaus versichert – die des Geheimrats Johann Wolfgang Goethe.
Zufrieden mit seiner Mission machte Boisserée sich auf den Weg nach Leipzig, wo soeben die Jubilate-Messe stattfand.
Leipziger Allerlei
Als Gutenberg den Druck erfand,
der Herrgott ihm zur Rechten stand.
Jedoch ohn’ allen Zweifel:
zur Linken stand der Teufel.
Und in der Engel lautem Chor,
flüstert er ihm leis ins Ohr.
Seither muss jeder selbst ermessen,
von wessen Worten er besessen.
Matthias Claudius
Die Kutsche
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