Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
wirkte wie verwittert, die Augen darin von strahlendem Blau. Er war korrekt gekleidet, trug graue Pantalons und einen schwarzen Rock, beides wirkte etwas verschlissen hier und da, aber sauber gebürstet. Sein Hemd leuchtete blütenrein, und sein Halstuch wand sich, wenn auch kunstlos, so doch ordentlich gebunden um den reinen Kragen. Seine Hände waren rau. Seine Stimme ebenfalls. Was er erzählte mit dieser rauen Stimme und gelegentlich mit sparsamen Gesten der rauen Hände, fesselte die vier Zuhörer in Waldeggs Bibliothek.
Der Buchhändler Rieker, Cornelius, Susanne und Antonia saßen um ihn herum und lauschten, was er von den seltsamen Gebräuchen der Menschen auf der fernen Südseeinsel zu berichten wusste. Von den groß gewachsenen Adligen, den Alii, und von einflussreichen Priestern, den Kahunas, von der Verehrung der Feuergöttin Pele und dem Wesen des Tabus, diese Gesetze und Verbote, die das ganze Leben der Einwohner bestimmten. Er erwähnte die großen, wilden Rinderherden, die von den Tieren abstammten, die vor fünfzehn Jahren von einem Kapitän Vancouver dem König des Inselreiches geschenkt worden waren, und deren Tiere nun tabu waren, also nicht berührt werden durften. Als er von einer Landschaft, die unvorstellbar zauberhaft war, erzählte, wurden seine Worte fast poetisch. Er malte das vielfarbige Grün der üppigen Regenwälder aus, beschrieb Bäume, deren Holz betörend duftete, und schwärmte von hohen, silbern glitzernden Wasserfällen, die mit ihrem Rauschen das der Blätter übertönten und sprudelnd die klaren Seen zwischen Farnen und Orchideen füllten. Doch auch die bizarren Felsen, die grauen Aschewüsten und die erstarrte Lava der noch immer lebenden Vulkane schilderte er mit Ehrfurcht, und sie sahen förmlich die Dampfwolken, die aufstiegen, wenn das kirschrot glühende Gestein auf das aufbrodelnde Wasser des Meeres traf.
Hin und wieder warf er einen Blick in die stockfleckigen Seiten, die er mitgebracht hatte, und um derentwillen er eine Einladung von dem Verleger erhalten hatte, dem seine Reiseerfahrungen vielleicht ein Buch wert waren. Es waren die Aufzeichnungen des Anthropologen Roderick Carlson, der unter Admiral Krusenstern drei Jahre lang, von 1803 bis 1806, um die Welt gesegelt war.
Carlson machte eine Pause, lehnte sich zurück und trank dankbar das Bier, das man ihm serviert hatte.
»Sie sind kein unbegabter Erzähler, Herr Carlson. In der Tat, nicht unbegabt«, bemerkte der Buchhändler und beugte sich vor, um sich das Tagebuch näher anzusehen. »Darf ich einen Blick hineinwerfen?«
»Bitte!«
Antonia legte den Bleistift nieder, mit dem sie während der ganzen Zeit eilig mitgeschrieben hatte, Cornelius klopfte seine Pfeife aus, und Susanne schaute still auf ihre Hände.
»Dieses Buch hilft uns nicht, obwohl es Anregungen enthält. Unsere Leserschaft kann mit den Angaben von Längen- und Breitengraden nichts anfangen und ist es zudem gewohnt, vollständige Sätze zu lesen«, murrte Rieker.
Es schien sich leichte Enttäuschung in der lässigen Haltung des Mannes abzuzeichnen. Cornelius aber hatte ihn unter halb geschlossenen Lidern beobachtet und fragte: »Toni?«
»Er müsste langsamer sprechen. Aber – ja!«
»Susanne?«
Sie hatte das Buch aus Riekers Hand genommen und blätterte darin.
»Die Skizzen sind gut, aber ich brauche mehr Ansichtsmaterial. Gibt es schon Kupfer über die Flora und Fauna dieser Insel? Wie heißt sie gleich: Owaijee?«
»Owaihi, gnädige Frau. Manche sprechen es auch wie Hawai’i aus.«
Cornelius erklärte, zu ihr gewandt: »Ich habe das Werk von Hawkesworth, der Cooks Tagebücher ausgewertet hat. Es ist zwar in die Kritik geraten, weil er kräftig nach eigenem Dünken mit den Fakten verfahren ist, aber darin dürfte zumindest die pazifische Pflanzenwelt abgebildet sein.«
Roderick Carlson stellte sein Glas ab und sah fragend zu Cornelius hin. »Sie würden es als Grundlage nehmen?«
»Unter gewissen Voraussetzungen, Carlson.«
»Oh!«, entfuhr es Susanne in diesem Moment. Der Reisende sah zu ihr hin und zuckte zusammen. »Verzeihen Sie, gnädige Frau. Ich hatte nicht bedacht…«
»Was? Glaubten Sie, uns ließe der Anblick einer halb entblößten Geschlechtsgenossin in Ohnmacht sinken?«, fragte Antonia, die gleichfalls auf das Blatt schaute.
»Es ist so, dass man sich dort anders kleidet. Ähm...«
»Sicher, es ist eine andere Kultur, und sie erwähnten das ungemein milde Klima. Erzählen Sie, was ist derzeit Mode auf
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