Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
mich um Rat, wie er deine Zukunft am besten absichern könnte. Ich verwies ihn an Doktor Joubertin.«
»Es ist mir so gleichgültig, Cornelius.«
»Im Augenblick, Toni. Aber das Leben geht weiter. Es ist ja sogar nach dem Tod unseres Vaters weitergegangen.«
»Und nach dem meiner Mutter und nach dem meines ersten Vaters und nach Pater Emanuels und und und. Ich weiß nicht, ob es diesmal weitergeht.«
»Dein Kind will leben.«
Mit einer unwillkürlichen Bewegung legte Antonia ihre Hände auf ihren Bauch, und dann stiegen ihre Tränen auf. Seit sie ein Kind war, hatte sie nicht mehr geweint, jeden Verlust, jeden Kummer hatte sie trockenen Auges überstanden. Diesmal aber war die Grenze dessen erreicht, was sie ertragen konnte. Der Damm brach, und Cornelius konnte nichts weiter tun, als sie an seine Brust zu ziehen und weinen zu lassen. Er streichelte sanft ihren Rücken und versuchte, ihr tröstende Worte zuzuraunen. Irgendwann hob sie ihr tränenverschmiertes, verquollenes Gesicht.
»Du bist mir nicht böse? Ich meine, wegen des Kindes?«
»Ich bin dir nicht böse. Ein Bastard mehr in unserer Familie wird unserem Ruf auch nicht weiter schaden. Aber, Toni, wenn du willst, heirate ich dich.«
In diesem Moment versiegten sogar ihre Tränen. »Du? Aber du bist doch mein Bruder.«
»Adoptiert und noch nicht einmal blutsverwandt, das kann man regeln.«
»O danke, Cornelius. Danke für dein Angebot. Aber ich will dich nicht an mich fesseln. Das wäre ungerecht.«
Er sah das zwar vollkommen anders, aber ihr das jetzt zu erklären, das leuchtet ihm ein, war der unpassendste Augenblick überhaupt.
»Auf jeden Fall werde ich dir zur Seite stehen, sollte sich jemand darüber echauffieren. Und nun, Liebes, wirst du noch ein Letztes tun müssen.«
»Das Testament lesen?«
»Nein, diese Kassette öffnen. Sebastien hat dir ein Andenken hinterlassen, das du würdigen solltest.«
»Ich werde wieder weinen müssen.«
»Es erleichtert den Schmerz.«
»Wenig, Cornelius, nur sehr wenig.«
Aber sie öffnete die mit Samt ausgeschlagene Schatulle, und ihre Tränen tropften auf ein erlesenes Brillantcollier.
Die Macht der Liebe
Ich bete an die Macht der Liebe,
Die sich in Jesu offenbart;
Ich geb’ mich hin dem freien Triebe,
Wodurch ich Wurm geliebet ward;
Choral von Tersteegen, gespielt anlässlich des Zapfenstreichs nach der Völkerschlacht von Leipzig
Capitain David von Hoven hatte kaum Zeit gefunden, seine Uniform einigermaßen repräsentabel zu machen, seine Stiefel waren schlammverkrustet, sein linker Ärmel blutverschmiert und von einem Verband notdürftig bedeckt, und seine Haare stanken nach Pulverrauch. Doch sein Bursche war unauffindbar, sein Quartier von Verletzten belegt. Viel besser sahen auch die anderen Offiziere und Soldaten nicht aus, die sich jetzt, am frühen Nachmittag des 19. Oktober 1813, auf dem Marktplatz von Leipzig versammelt hatten, um den Sieg über den französischen Kaiser mit einer Parade zu würdigen. Der russische Zar Alexander, der österreichische Kaiser Franz, der preußische König Friedrich Wilhelm und der schwedische Kronprinz hatten sich eingefunden, und ihre Corps hatten sich, soweit sie dazu in der Lage waren, versammelt, um mit der Regimentsmusik voran durch die Straßen zu ziehen.
Es war das Ende der größten Schlacht seit Menschengedenken, einer wahren Völkerschlacht.
Es war auch ein entsetzliches Schlachten gewesen.
Aber nun war es vorbei, und der Rückzug der napoleonischen Truppen war ein Zeichen dafür, dass ein Ende der andauernden Kriege absehbar wurde. Schon hörte man, die Verbündeten würden den nach Westen fliehenden Franzosen folgen, um sie endgültig über den Rhein zurückzutreiben. David hoffte es, denn ihm stand der Sinn jetzt nur noch danach, Köln zu erreichen. Er hatte im Frühjahr 1812 hart mit sich gekämpft, und dann nach Ostern doch wieder die Uniform angezogen. Es war ein Entschluss, den er selbst mit dem Verstand nicht begründen konnte, aber als er im Dezember in Ostpreußen General Renardet gefunden hatte, war es ihm wie eine Bestätigung seiner Entscheidung vorgekommen.
Seine Gedanken wanderten zu Antonia. Er hatte ihr großes Glück und großes Leid verursacht, indem er den Verwundeten zu ihr sandte. Für sie hoffte er, das Glück möge in ihrer Erinnerung irgendwann das Leid aufwiegen. Heinrich war im August wieder zu ihm gestoßen und hatte ihm in anrührender Weise von der großen Liebe zwischen den beiden berichtet. Dabei
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