Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
schwankte seine Stimme gelegentlich, und als er von der Abreise des Generals sprach, waren sogar Tränen über seine Wangen gerollt.
David fühlte mit seiner Schwester und trauerte mit ihr um einen guten Mann. Er wäre gerne zu ihr geeilt, aber das war im Augenblick undenkbar. Er musste nun auch noch die letzten Kämpfe überstehen, um dann endlich wieder seinem inneren Ruf nachgehen zu können, als Baumeister tätig zu werden. In den letzen Monaten hatte er mehr Bauwerke zerstört als errichtet. Er gehörte dem Ingenieur- und Pioniercorps an, das General Scharnhorst unterstellt war. Er hatte diesen ehrgeizigen und weitblickenden Offizier sehr geschätzt, und sein Tod – eine verschleppte Verletzung, ähnlich der Renardets – hatte ihn mit aufrichtiger Trauer erfüllt. Seit Juli führte Generalmajor von Rauch das Corps, doch es war, seiner Bestimmung nach, den sechs kämpfenden Corps zugeteilt, seine Einheiten begleiteten das Yorck’sche Corps. Mit ihm zog er nun durch die Straßen Leipzigs, unter den Klängen des Regimentsmarsches.
Sie nahmen Aufstellung auf dem Marktplatz, die Herrscher der Verbündeten in ihren sauberen, goldglänzenden Uniformen, auf wohlgenährten Pferden, ließen hoheitsvoll ihre Blicke über die gezausten Einheiten schweifen. Es war ihr Sieg, und unberührt von dem Entsetzen der Kämpfe, die mit erschreckender Gewalttätigkeit geführt worden waren, nahmen sie die Ehrenbezeugungen ihrer Generäle und Marschälle entgegen. David versuchte, mit stoischem Gleichmut die Szenen zu verdrängen, die er erlebt hatte. Die Franzosen, obwohl meist ganz junge und unerfahrende Soldaten, hatten mit einem Mut und einer Tapferkeit gekämpft, die alle in Erstaunen versetzte. Zu Fuß, mit der blanken Waffe in der Hand, hatten sie einige Stellungen verteidigt. Es war manchenorts das reine Gemetzel gewesen, und die Kanonaden hatten entsetzliche Opfer gefordert. Die zerfetzten Leiber tränkten den Boden mit ihrem Blut.
Darum entfernte sich David zum zweiten Mal in seiner militärischen Laufbahn ohne Erlaubnis von seiner Truppe, als auf Befehl des preußischen Königs der Choral gesungen werden sollte, der mit den Worten begann: »Ich bete an die Macht der Liebe«. Diesen blanken Hohn konnte er jetzt einfach nicht ertragen.
Niemand hielt ihn auf, als er durch das zerstörte Grimmaische Tor, bei dessen Erstürmung er am Morgen selbst mitgeholfen hatte, zu seinem Quartier ging. Hier hatte sich inzwischen Heinrich eingefunden, der sogar sein Pferd aufgetrieben hatte. Seine wortreiche Entschuldigung wischte David beiseite und sah sich um. Etliche Soldaten biwakierten auf dem Feld vor der Stadtmauer. Hier hatte die Leipziger Bürgerwehr ihre Aufräumarbeiten beendet, aber weiter draußen, auf den Gefechtsfeldern, lagen noch die Toten und Verwundeten.
Wieder packte David der Zorn. Eine Parade abzuhalten, während dort draußen die Männer im Sterben lagen, hilflos, unfähig, sich in Sicherheit zu schleppen, mit quälenden Schmerzen.
Er sah sich um. Es gab genug Decken und manch eine Lanze, aus denen man behelfsmäßige Tragen herstellen konnte. Er befahl seinen Unteroffizier zu sich und wies ihn an, so viele Männer wie möglich zum Zurückholen ihrer verwundeten Kameraden zusammenzurufen. Mit einem beachtlichen Trupp begab er sich vor die Stadt. Da er zu Pferde war, dirigierte er seine Helfer dorthin, wo er unter den Gefallenen noch Lebende fand, aber schon bald stieg er ab und ging zwischen den Pferdeleibern, weggeworfenen Tornistern, aufgegebenen Geschützen, Toten und stöhnenden Verletzten umher. Obwohl es das nackte Grauen war, das sich ihm bot, hielt er durch, befahl mit zusammengebissenen Zähnen seine Leute hierhin und dorthin. Einige Male hörte er Schüsse, doch er sah sich nicht um. Es mochte gnädiger sein, das Leiden Einzelner zu verkürzen.
Die Dämmerung brach herein, und mit dem Zwielicht kamen auch andere auf das Schlachtfeld. Er sah die Frauen, die sich immer wieder bückten, und er wusste aus Tonis Erzählungen, dass sie auf Beutezug waren. Zwei Mal verscheuchte er Weiber, die den Toten die Kleider vom Leib zogen.
Als es dunkler wurde, verlangte er Fackeln, und mit einem Soldaten an seiner Seite wanderte er weiter über das Feld. So stolperte er fast über die Frau, die neben einem Mann kniete und sich an seiner Montur zu schaffen machte. Sie schrie erschrocken auf, als sie ihn sah.
»Was machst du hier, Weib? Er lebt noch!«, fuhr er sie an.
»Ja, er lebt noch, Herr Offizier.« Sie
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