Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
bestimmte er ihn jener Sebastienne, die er als seine Tochter anzuerkennen wünscht. Er sprach mit großer Sicherheit von einer Tochter, Mademoiselle, und da Sterbende manchmal über Hellsichtigkeit verfügen, nehme ich an, dass Ihr Kind ein Mädchen sein wird.
Nachdem er den Ring, den ich ihm ans Bett brachte, geküsst hatte, fiel er in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Er erwachte nur noch ein Mal, kurz vor Mitternacht, flüsterte die Worte: »Toni!« und »Liebe«, dann entschlief er mit einem stillen, glücklichen Lächeln.«
Wieder war es Elena, die Antonia festhielt und leise wiegte, doch diesmal weinte sie mit ihrer Tochter.
Nun war es November geworden, und eigentümlicherweise hatte das Wissen um Renardets Tod Antonias Trauer gewandelt. Ihre Gedanken galten oft dem Leben, das in ihr wuchs, und manchmal konnte sie sogar, wenngleich nicht ohne Wehmut, ihrer gemeinsamen glücklichen Stunden gedenken. Heiter war sie noch nicht, und sie hatte sich, nicht nur ihrer Schwangerschaft wegen, aus dem gesellschaftlichen Leben völlig zurückgezogen. Auch ihrem Aussehen schenkte sie wenig Aufmerksamkeit, was Maddy häufig tadelnd bemerkte. Aber sie arbeitete viel für die Druckerei, und elegante Kleider und kunstvoll aufgesteckte Haare waren dabei nurmehr lästig.
An diesem Nachmittag war sie alleine im Haus. Daher öffnete sie eigenhändig die Haustür, als es energisch unten pochte. Eine Reisekutsche stand am Straßenrand, der eine Dame in pelzverbrämtem Samtjäckchen entstiegen war. Unter einem modischen Zylinderhut mit Schleier lockten sich glänzend schwarze Haare, und ein voluminöser Muff versteckte ihre Hände. Das Gesicht, das eine hochmütige Miene zur Schau trug, war gepflegt und sehr gekonnt geschminkt, gehörte aber einer nicht ganz jungen Frau. Näselnd fragte sie: »Dies ist das Haus des Domherrn von Waldegg?«
»Ja, Madame.«
»Ich wünsche den Herrn zu sprechen.« Sie reichte dem vermeintlichen Dienstmädchen mit spitzen Fingern eine Visitenkarte. Mit Verblüffung las Antonia den darauf gedruckten Namen: Isabetta von Cattgard. Davids Mutter, erfasste sie sofort, und nach Monaten erstmals regte sich wieder das kleine Teufelchen in ihr.
»Der Herr ist außer Haus, gnädige Frau. Sie finden ihn bei der Kapelle von Sankt Maria im Pesch, am Dom.«
»Ich weiß, wo sich die Pfarrkapelle befindet.«
Die Dame rauschte zur Kutsche und ließ sich die wenigen Schritte zur Trankgasse fahren. Eine halbe Stunde später kehrte sie zurück, und Antonia wurde, als sie auf das energische Pochen öffnete, mit den giftigen Worten begrüßt: »Wie konntest du dich erdreisten, Mädchen, mich auf einen Friedhof zu schicken.«
»Was heißt hier erdreisten, gnädige Frau? Der Domherr weilt nun mal seit vier Jahren dort.«
»Wem gehört jetzt in dieses Haus?«
»Seiner Witwe, Elena Waldegg.«
Damit war die Besucherin denn doch aus der Fassung gebracht. »Ich dachte... Ich hoffte...«
»Sie hatten Aufnahme im Haus des Domherrn erwartet?«
»Ich bin eine gute alte Freundin von ihm.«
»Vielleicht alt, nicht jedoch gut genug, sich über sein Befinden über Jahre hinweg zu erkundigen, Madame.«
»Freches Geschöpf!«
»Nur erschreckend ehrlich, Frau Cattgard.«
Isabetta hatte ein Tüchlein aus dem Muff gezogen und betupfte sich demonstrativ die Augen. »Es trifft mich so hart, dass mein Hermann von uns gegangen ist. Ich bin extra von Weimar hergereist, um ihn zu sehen. Es war eine entsetzliche Reise. Diese Soldaten, die Schlachtfelder...«
»Ja, es muss Sie ein dringender Anlass bewogen haben, in diesen unruhigen Zeiten zu reisen.« Antonia empfand eine gewisse Bewunderung für die Zähigkeit, mit der die Besucherin sich Zutritt zu ihrem Heim zu verschaffen suchte. »Kommen Sie herein, Frau Cattgard. Meine Mutter wird gegen fünf zurück sein.«
»Deine Mutter?«
»Elena Waldegg. Jetzt kommen Sie schon, ich kriege kalte Füße, und das Kind tanzt eine Mazurka in meinem Leib.«
Für einen Moment verstummt, trat Isabetta ein, dann sah sie sich um und nickte. »Ganz anders als damals, aber sehr geschmackvoll.« Mit einem überwältigend charmanten Lächeln wandte sie sich dann an Antonia und säuselte: »Ich muss Sie auf Knien um Verzeihung bitten, junge Frau. Ich habe Sie bedauerlicherweise für ein Hausmädchen gehalten. Können Sie mir noch einmal verzeihen?«
»Ich sehe nicht sehr repräsentativ aus, das weiß ich. Darum nehme ich es Ihnen nicht übel. Hier entlang, bitte. Ich werde uns einen Kaffee
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