Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
eigentlich?« und wurde rot.
Der Domherr lachte auf und erwiderte freimütig: »Zweieinhalb Söhne und eine halbe Tochter.«
»Oh...«
»David kennst du, Cornelius ist sechs Jahre älter, er fährt gerade zur See. Na ja, und du trägst nun zwar Röcke, aber von einer jungen Dame bist du noch recht weit entfernt. Aber dazu kommen wir später. Nun, meine Liebe, bin ich den Staub der Felder leid und schlage vor, wir halten in diesem Gasthaus Einkehr und trinken einen Apfelmost.«
Um die alte Treidelstation hatten sich einige Häuschen angesiedelt, darunter ein strohgedecktes Fachwerkhaus, in dem ein findiger Wirt einen Ausschank betrieb. Sie nahmen auf der Terrasse Platz und blickten auf den Rhein hinaus. Antonia hatte sich bei dem kühlen Getränk von ihrer Verlegenheit wieder erholt und fragte: »Sie besuchen die Messe immer in diesem hässlichen Dom, nicht wahr? Warum gehen Sie nicht in eine der anderen Kirchen?«
»Das ist eine lange Geschichte, Antonia. Natürlich könnten wir eine andere Pfarrkirche besuchen, aber ich hänge an dem hässlichen Dom. Ich war bis zur Säkularisierung für ihn verantwortlich, und selbst jetzt, obgleich das Domkapitel nicht mehr existiert, fühle ich mich ihm weiterhin verbunden. Genau wie einige meiner Freunde. Wir kämpfen darum, was möglich ist, zu retten, versuchen, Gelder aufzutreiben, um den schlimmsten Verfall aufzuhalten, und wehren uns beständig gegen jene, die ihn als Steinbruch für neue Bauwerke betrachten und ihn am liebsten abtragen würden. Letztlich hegen wir die Hoffnung, irgendwann einmal genügend Mittel und Mäzene zu finden, um seine Fertigstellung voranzutreiben.«
»Aber, entschuldigen Sie, wäre es nicht wirklich sinnvoller, ihn abzureißen? Wenn Sie schon kaum Geld für Reparaturen bekommen, für eine Fertigstellung bekommen Sie sie noch weniger. Warum also die Ruine stehen lassen?«
»Nun, die Substanz ist solide, das Fundament verankert ihn fest im Boden. Nur Schmuckwerk, Fialen und Geländer, Krabben und Maßwerk, sind verwittert. Dieser Dom, Antonia, ist ein Mahnmal für ein großes gemeinsames Werk. Und nicht nur ich, sondern auch einige andere erkennen hinter der verfallenen Hässlichkeit die Schönheit aus reiner Geometrie und kosmischer Harmonie.«
Sinnend malte Antonia mit dem Finger feuchte Kreise auf das raue Holz des Tisches. Sie hatte eine tiefe Zuneigung zu dem Domherrn gefasst und war mit seinen Gedankengängen vertraut geworden. Sie wusste, er konnte ein liebenswürdiger Plauderer sein, aber hinter diesem Auftreten verbarg sich nicht nur ein wunderlicher Sinn für Humor, sondern auch ein durchdringender Blick in die Tiefen. Wenn er dem verrotteten Dom diese Wichtigkeit zumaß, dann sollte sie besser zuhören.
»Erzählen Sie mir mehr davon«, bat sie ihn also.
»Gerne, meine Liebe. Aber dazu musst du mich etwa fünfhundertfünfzig Jahre zurückbegleiten.«
»1250?«
»Im Jahre des Herren 1248 legte Erzbischof Konrad von Hochstaden den Grundstein zu dem Bau. Es war sein Wunsch, den Heiligen Drei Königen ein angemessenes Heim zu errichten.«
»So lange ist das her?«
»So lange, ja. Es ist ein gewaltiges Vorhaben gewesen, und jene Baumeister und Maurer, Zimmerleute und Steinmetze, Werkzeugmacher und Glaser, Gipser und Mörtelmacher, die daran gewirkt haben, wussten alle, sie würden in ihrem Leben nie die fertige Kathedrale sehen. Dennoch arbeiteten sie mit Feuereifer daran. Zur Ehre Gottes und zum Ruhme ihrer Stadt! Bereits fünfzig Jahre später war der Chor fertig, und es konnten die ersten Gottesdienste darin gehalten werden. Danach arbeitete man stetig weiter, dreihundert Jahre lang. Dann, 1560, wurde der Bau eingestellt, und der Dom blieb so unfertig, wie du ihn heute siehst.«
»Den Chor, den Turmstumpf und den halbfertigen Turm mit dem Kran. Warum hat man denn nicht weitergebaut?«
»Du interessierst dich doch für Geschichte. Du hast einiges gelesen und es gut verstanden. Denk nach, was in jener Zeit, im sechzehnten Jahrhundert, geschehen ist.«
»Der Dreißigjährige Krieg?«
»Ebenso eine Folge. Natürlich. Aber ich denke, man kann nicht immer alles auf Kriege reduzieren, wenn man die Geschichte der Menschen und ihrer Werke betrachtet. Antonia, du bist ein Kind deiner Zeit, und du hast einen gewaltigen, ja historischen Wandel miterlebt, der sich innerhalb weniger Jahre vollzog. Aber er ist nicht der erste Wandel grundlegender Art, nur sind die früheren langsamer verlaufen, wenn auch vergleichsweise einschneidender.
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