Kreuzblume: Historischer Roman (German Edition)
auf. Sie trug einen blauen Rock, der bei ihren energischen Schritten weit ausschwang, und hatte ein weißes Fichu um das Oberteil drapiert.
»Es ist ein Maitag wie aus einem Bilderbuch, nicht wahr?«, fuhr der Domherr fort. »Er lenkt mich tatsächlich von meinen Sorgen ab.«
»Sie müssen sich nicht so viel grämen, Herr Waldegg. Sie haben alles getan, was Sie tun konnten. Sie ändern nichts an dem, was in Berlin geschieht, wenn Sie Ihr Herz wieder in Aufregung versetzen.«
»Ich weiß, Kind. Hoffen wir, das die Briefe pünktlich dort eintreffen.« Sie waren am Rheinufer entlanggewandert und traten jetzt durch das Stadttor, um auf dem Weg entlang der grünen Felder und dem im Sonnenlicht glitzernden Strom spazieren zu können. Frachtkähne zogen träge vorbei, an einem Steg wuschen drei Frauen ihre Wäsche, Enten schaukelten am seichten Ufer, und ein paar Kinder in kurzen Hosen ließen flache Steine über das Wasser hüpfen. Amseln schmetterten ihre vielfältigen Strophen in die blaue Luft, und gelbe Schmetterlinge tanzten dazu über dem jungen Getreide. Ein kleiner weißer Hund jagte kläffend hinter irgendeiner nur für ihn sichtbaren Beute her, ein Landmann, eine Kiepe geschultert, entbot ihnen einen zahnlückigen, aber freundlichen Gruß.
Antonia und der Domherr hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, außerhalb der Stadtmauern ihre gemeinsamen Wanderungen zu genießen, und Waldegg erzählte dabei immer kleine Geschichten aus jenen Jahren, die Antonia fern von Köln verbracht hatte. Er wechselte häufig mühelos ins Französische, das er genauso fließend sprach wie Antonia, jedoch in einem deutlich eleganteren Stil. Diesmal aber schritt er nachdenklich neben ihr her und schien über ein unbequemes Thema zu brüten.
»Habe ich etwas Falsches getan, Herr Waldegg?«
»Was? Nein, ach, nein, Antonia. Ich überlegte nur, wie ich eine – ähm – schwierige Frage stellen kann, ohne dir zu nahe zu treten.«
»Am besten einfach gerade heraus. Wissen Sie, ich bin nicht so ein rohes Ei wie die feinen Damen. Wenn Sie mir damit auf den Zeh treten, jaule ich schon.«
»Ich weiß, Liebes. Aber auch du hast Stellen, wo die Haut noch sehr dünn über dem Narbengewebe ist. Ich möchte dir nicht wehtun.«
»Keine Angst, ich heule schon nicht.«
»Ich weiß, du weinst nie. Also gut, vielleicht bin ich einfach übervorsichtig. Die Frage, die mich bewegt, ist, ob wir dich überreden können, uns am Sonntag in die Pfingstmesse zu begleiten.«
Antonia sah ihn überrascht an.
»Ja, meinetwegen. Ist es wichtig?«
»Nun, ich habe dich bisher nie in die Kirche gehen sehen. Ich kann es sehr wohl verstehen Antonia, es ist kein Vorwurf. Du bist in einer Zeit groß geworden, in der der Religion keine Bedeutung beigemessen wurde oder man sie gar verdammt hat. Was immer du glaubst, ist natürlich deine Angelegenheit.«
»Ja, das ist es.« Antonia fühlte sich nicht behaglich auf diesem Gebiet. Es war ihr fremder als ein Essen an einem Tisch, der für sechs Gänge gedeckt war.
»Elena wünscht es sich sehr, dass du mitkommst.«
»Und warum, Herr Waldegg?«
»Nun, sie sorgt sich um dein Seelenheil.«
»Ihre Frau glaubt an vieles, das die Seele heilt – Gelübde, Gebete, Messen... Glauben Sie auch, meine Seele heilt, wenn ich in der Kirche sitze?«
Der Domherr unterdrückte mannhaft ein Schmunzeln. Elena hatte sich bitterlich bei ihm beklagt, Antonia hinge einem bedrohlichen Aberglauben an und nutzte ihre Gebete wie Zaubersprüche. Ihr war dabei nicht zu Bewusstsein gekommen, dass sie es im Grunde genauso hielt.
»Es könnte eine Erfahrung für dich sein, Antonia. Die Liturgie der Messe ist alt, die Traditionen reichen weit zurück und haben über alle Zeiten hinweg etwas Verbindendes. Manche Menschen verspüren in dieser universellen Vertrautheit eine Art Heilung.«
»Ich kann’s ja mal versuchen.«
»Es würde mich freuen, Antonia.«
Sie blieb stehen und hob die Augen zu ihm. »Finden Sie denn Heilung darin?« Ihr Gesicht spiegelte eine so offene Wissbegier, dass er lächeln musste.
»Ich schätze die Traditionen, Kind. Sie sind mir mein Leben lang vertraut. Aber Heilung findet meine Seele nur in der Gewissheit, dass es meinen Kindern wohl ergeht. Im Augenblick, Antonia, bist du das einzige Kind, das bei mir ist. Dein Anblick erfreut meine Seele.«
»Oh!« Verlegen starrte Antonia auf ihren staubigen Rocksaum. Dann platzte sie, plötzlich neugierig geworden, mit der Frage heraus: »Wie viele Kinder haben Sie
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