Kreuzdame - Köln Krimi
schälen. Immer noch nahm ich zu viele aus der Kiste, die Gewohnheit langer Jahre, als die Jungen nie genug bekommen und auch die Mädels kräftig zugelangt hatten, bis sie in den Hungerwahn entglitten, aus dem sie nur schwer herauszuholen gewesen waren. Martins Mutter aß wie ein Vögelchen, und auch Martin hielt sich zurück. Und mir, mir sollte der Appetit zwar eigentlich morgens beim ersten Blick in den Spiegel verloren gehen, wenn ich spärlich bekleidet meine Zähne putzte und beim Mundspülen mein Gesamtbild sah, das weiß und rund über den Spiegel auszulaufen schien. Schnell streifte ich dann eines meiner Jerseykleider über, die weit genug waren, um vieles zu vertuschen, sodass ich mir den lieben langen Tag einreden konnte, die paar Kilos hätte ich schnell wieder runter, einmal ein Abendessen auslassen und zweimal in die Sauna. Aber abends war ich zu erschöpft, um auch noch aufs Essen zu verzichten, und die Sauna war vollgestopft mit Gartenstuhlkissen und Liegenauflagen, mit den nur unwesentlich verkleinerten Luftmatratzen und den Sportgerätschaften, die angeschafft und dort hingelegt und nie wieder hervorgeholt worden waren.
Nach dem Mittagessen, als Martin vom Tisch aufstand, mit dem dampfenden Espresso ins Wohnzimmer ging, den großen Sessel ansteuerte, um die Post durchzusehen, die auf dem Schiefertisch lag, fragte ich ihn nach Timo.
»Timo?«, fragte er. »Was für ein Timo?«
»Der Sohn von Klaus und Anna«, antwortete ich irritiert, als Martin sich hinsetzte und den ersten Schluck nahm.
Er sah mich an, und dann, so als stiege langsam die Erinnerung in ihm hoch, sagte er: »Ach so, ja, Timo, der ist, soviel ich weiß, beim Fernsehen, ARD oder ZDF , irgend so was … Aber das wird sich sicher rauskriegen lassen.«
Merkwürdige Reaktion, dachte ich. Als ob er nicht mehr wüsste, dass Klaus und Anna ein Kind hatten, dass dieses Kind Timo hieß und er sein Pate war. Konnte man so etwas vergessen?
Um drei rief ich Charlotte an. Es klingelte lange. Als ich gerade auflegen wollte, meldete sich Rainer.
»Charlotte holt neue Leinwände«, sagte er, und seine Stimme war noch sanfter als sonst. »Es ist alles so schrecklich, der Klaus, so liebenswürdig, niemals habe ich ihn zornig gesehen, und mich hat er von Anfang an gemocht, das habe ich gespürt.«
Ach Rainer, spür doch nicht immer nur in deine Richtung. Ich sagte betont sachlich: »Kannst du Charlotte bitten, mich zurückzurufen?«
»Selbstverständlich, Brigitte, ich schreibe ihr sofort einen Zettel. Du bist zu Hause, und deine Nummer, wie immer?«
»Ja, Rainer, wie immer.«
Das war Rainer, auch wie immer. Wahrscheinlich trug er schwarz und hatte rot geweinte Augen.
Ich griff noch einmal in die Truhe und holte die nächsten Alben heraus. In einem fand ich das Hochzeitsfoto von Charlotte und Johannes. Ein rauschendes Fest, eine große Liebe. Die Braut so zerbrechlich neben dem Mann mit den klaren Augen und dem Lächeln, dem keiner widerstand.
Es war die zweite Hochzeit in unserer Clique gewesen, Klaus und Anna waren die Ersten, überstürzt, wie wir gedacht hatten, auch wenn ich hatte verstehen können, dass Anna den Vater ihres Kindes an sich hatte binden wollen. Die vermögenden Schwiegereltern waren nicht begeistert gewesen, dass es ausgerechnet dieses Mädchen hatte sein müssen, man hätte es dem Sohn ausreden sollen, hätte ihr eine ordentliche Summe gezahlt, und alles wäre anders geworden. Die Feierlichkeiten hatten sie schnell hinter sich gebracht, ein wenig Zuckerguss in Eis erstarrt. Wohl auch deshalb erschien uns dieses nächste Mal wie eine Märchenhochzeit, bei der alles stimmte. Charlottes Vater, von dem sie zum Altar geführt wurde, Johannes’ Mutter, die ihren Sohn mit Tränen in den Augen beglückwünscht hatte zu dieser Frau, alles so, wie wir es uns als kleine Mädchen erträumt hatten.
Sie zogen nach Lindenthal, in eine große Altbauwohnung direkt am Kanal, mit Esszimmer, Bibliothek und hohen Decken.
Charlotte fuhr nach Düsseldorf zur Kunstakademie, Karin studierte Klavier und Gesang, ich ging zur Dolmetscherschule, und wenn Anna nachmittags mit dem Kinderwagen gekommen war, hatten wir sie bei ihren Spaziergängen rund um den Aachener Weiher begleitet. Wir hatten beschlossen, dass Timo uns allen gehörte, und wenn wir danach in Lindenthal auf der Veranda saßen, vor uns den leckeren Kuchen und die große Kanne mit starkem Kaffee, hatten wir uns wie Kölns bessere Gesellschaft gefühlt.
Johannes machte Examen und
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