Kreuzdame - Köln Krimi
Ihr Leben war ausgelöscht worden zugunsten von Katharina. Ich war erschüttert. Klaus, ein Dr. Monströs? Er hatte eine Eigenkreation ins Leben geschickt und sich gefreut, dass ihm gelungen war, was er sich gewünscht hatte, dass er eine Frau geschaffen hatte, in der selbst wir alten Freunde Anna nicht erkannt hatten.
Anna führte den Rest ihrer Brötchenhälfte an die Lippen, ließ ihn dann aber wieder sinken, legte ihn zurück auf den Teller und seufzte. »Nun weißt du, wie es anfing.«
Wie es anfing? Was wollte sie damit sagen? Dass es noch weiterging? Was war mit der Fahndung nach Katharina, die ja noch immer lief? Durfte ich schweigen? War es nicht meine Pflicht, der Polizei von Katharina zu berichten, die eigentlich Anna war? Und wenn Anna die Täterin war? Wenn sie Klaus so gehasst hatte für alles, was er ihr angetan hatte, wenn ihre Liebesbeteuerungen nur Lüge waren … Doch ehe ich sie fragen konnte, war sie aufgestanden.
Anna kam wieder. Unerwartet diesmal, überraschte mich beim Bügeln, das ich gleich unterbrach, Kaffee kochte, Plätzchen auf den Tisch stellte und die Kerzen am Adventskranz anzündete.
»Mach noch ein bisschen Musik an«, flüsterte sie und lehnte sich abwartend zurück. »Das macht manches leichter, das Erinnern und auch das Sprechen darüber.«
Sie wartete eine Weile, ehe sie zu erzählen begann, eine Episode, der ich wie gebannt zuhörte, wie einem Hörbuch, einem Hörspiel, das mich gefangen nahm.
»Weihnachten in jenem ersten Jahr«, fuhr Anna leise fort. »Timo wollte kommen, wie immer. Dass seine Mutter verschwunden war, schien ihn nicht sonderlich zu stören. Am Telefon erzählte Klaus ihm von der neuen Gefährtin, wie er mich nannte, und sein Bericht über Katharina war so euphorisch, dass ich mich fürchtete, diesen Ansprüchen auf Dauer nicht genügen zu können. Erst sehr langsam wurde mir klar, was das bedeutete, wenn ich nun Timo wiedersah. Er würde mich nicht als seine Mutter erkennen, ich würde ihm vorgestellt werden als Katharina, die neue Freundin seines Vaters. Ich war für ihn, das Kind, das ich geboren hatte, den Jungen, den ich im Arm gehalten hatte, für meinen Sohn, eine Fremde …
›Nein‹, schrie ich, ›nein, Klaus, das kannst du mir nicht antun, das nicht! Ich bin seine Mutter, ich will meine Arme um ihn legen können, will ihn meinen Sohn nennen können.‹ ›Das darfst du doch alles. Natürlich darfst du ihn umarmen‹, sagte Klaus. ›Du wirst ihm signalisieren, dass du seine Mutter ersetzen wirst. Du bist ja nicht nur meine Geliebte, sondern auch eine Frau mit Müttergefühlen. Reiß dich zusammen, Katharina! Bis jetzt hast du dich tapfer geschlagen, nun wirst du doch nicht Reißaus nehmen wollen. Wenn du das geschafft hast, wird alles ganz leicht werden. Glaube mir, du wirst dich mögen, wirst dich freuen über die Berichte in den Zeitungen, wenn wir zusammen auf Empfängen sind und auf Bällen, wirst begeistert sein über die Komplimente meiner Kollegen, und doch wirst du mir gehören, für alle Zeiten, wirst du nichts weiter sein als mein Geschöpf.‹
Das war der Augenblick, in dem ich anfing, ihn zu hassen. Ja, es stimmte. Ich war ganz und gar sein Geschöpf. Alles, was ich gewesen war, hatte er vergraben, versteckt, und niemand würde mir glauben, dass er mich gegen meinen Willen hatte verändern können. Wenn ich ihm damit drohte, es zu erzählen, euch oder Timo, dann lachte er. ›Was willst du?‹, fragte er. ›Du bist kein kleines Kind, das der böse Onkel zu etwas gezwungen hat. Du bist eine erwachsene Frau mit der Kraft, eigene Entscheidungen zu treffen. Ich habe dich nicht überreden müssen, zu keinem Zeitpunkt. Das beweisen deine Unterschriften unter den OP -Bögen, die grafologisch gesehen von einer gewissen Stärke erzählen.‹ Er hatte recht, und so nahm ich es hin, dass ich Weihnachten Timo sehen würde.
An Heiligabend nahm ich Tabletten gegen meine Angst, gegen mein Herzklopfen und gegen die eiskalten Hände. Als Timo vor mir stand, streckte ich ihm beide Arme entgegen und sagte mit meiner neuen tiefen und melancholischen Stimme: ›Timo, willkommen daheim, ich freue mich, dass du da bist.‹ Da fiel mir ein, dass ich hätte fragen müssen, ob ich ihn duzen durfte, ihn, meinen Sohn. Aber das schien ihn nicht zu stören, er drückte mir die Hand und lachte. ›Okay, Katharina, dann wollen wir mal, auf gute Freundschaft.‹ Dann klopfte er Klaus auf die Schulter, sagte leise: ›Kompliment, erstklassiger
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